Rezension

Es hätte so gut werden können! Doch dann kam er ...

The Jewel - Amy Ewing

The Jewel
von Amy Ewing

*Worum geht's?*
Violet Lasting ist ein Surrogate. Sie wurde an dem Tag, an dem sie eine Frau geworden ist, positiv auf eine magische Begabung getestet und musste ihre Familie augenblicklich verlassen. Seither wurde sie ausgebildet, gefördert und trainiert, um eine perfekte Surrogate für eine der Damen der Oberschicht zu werden. Mit einer fast perfekten Wertung wird sie bei ihrer Auktion von der Duchess of the Lake ersteigert und in deren Schloss im Jewel, den Wohnort der Reichen und Schönen, gebracht. Doch für Violet ist das Leben im Jewel alles andere als schön oder sorgenfrei. Sie ist nur ein Vorzeigepüppchen, ein Spielzeug ihrer Herrin. Ein gekaufter Körper, der das Kind der Duchess austragen wird…

*Meine Meinung:*
Es gibt Bücher, die lassen einen schon nach wenigen Seiten eine solche Begeisterung verspüren, dass man gar nicht mehr mit dem Lesen aufhören mag. Wie gebannt klebt man an den Seiten, an jedem einzelnen Wort. Man will mehr über die großartigen und kreativen Welten der Autoren erfahren, die einen ebenso faszinieren wie erschrecken und einen mit jeder noch so kleinen Facette neugierig machen. Man will die Charaktere näher kennenlernen, zu ihnen zwischen die Zeilen steigen und mit ihnen gemeinsam das Abenteuer erleben, das vor ihnen liegt - und dessen Ausgang man sich nicht einmal zu erträumen vermag.

„The Jewel“ von Amy Ewing sollte eines jener Bücher, die eine solche Begeisterung in mir hervorrufen – oder zumindest dachte ich das, als ich mit dem Lesen begann. Die dystopische Welt von „The Jewel“ ist eine grausame und erschreckende, die einen augenblicklich in ihren Bann zieht: Während der Großteil der Bevölkerung ein armes, aber bescheidenes Leben führt, genießt die Oberschicht in den Zentren der Städten, den „Jewels“, ihren Reichtum in vollen Zügen. Sie scheren sich kaum um das niedere Volk zu ihren Füßen, doch sie sind von ihnen abhängig. Denn sie selbst sind nicht mehr dazu in der Lage, Kinder zu bekommen – und so werden Jahr für Jahr Mädchen ausgewählt, die zu so genannten „Surrogates“ ausgebildet werden. Dienerinnen, die mit gewissen magischen Gaben ausgestattet sind. Doch im Grunde sind die Surrogates nur eines: Lebende Brutkästen für die Kinder der Oberklasse.

Was sich nun bereits schaurig anhört, hat Amy Ewing noch viel krasser umgesetzt. „The Jewel“ hat mir in so manchen Szenen wirklich eine Gänsehaut beschert. Die Autorin beschreibt schonungslos, wie es in ihrer Welt zugeht: egozentrisch, brutal und ekelerregend. Mädchen werden auf ihre Gebärmutter reduziert und wie Haustiere gehalten, die man mit Schleifen geschmückt den „besten Freundinnen“ – also den von Neid und Gier zerfressenen Bekannten – präsentiert. Protagonistin Violet ist ein Surrogate, hat im Vergleich zu vielen anderen Mädchen aber noch eine vergleichsweise gute Herrin bekommen. Ich habe von Anfang an mit ihr mitgefühlt, mit ihr gelitten und sie innerlich angefeuert. Es mag an den erschreckenden Umständen des Romans liegen, dass mir das Mädchen mit dem starken Herzen sofort sympathisch war. Doch je besser man sie kennenlernt, desto klarer wird: Sie ist eine Figur mit viel Entwicklungspotenzial, die ihre Rolle als Protagonistin in dem Auftakt gut meistert.

In „The Jewel“ tauchen einige bekannte Elemente auf, die man bereits aus anderen Büchern des Genres kennt. Das Entreißen der Mädchen aus ihren Familien, ihr Training und ihre Ausbildung zu guten Surrogates sowie die Auktionen, in denen die von ihren Ausbildern mit Punkten bewerteten Mädchen an die Obrigkeit versteigert werden, erinnern Vielleser des Genres sicherlich an so manch anderes Buch. Dennoch hatte ich in „The Jewel“ nicht das Gefühl, dass Amy Ewing mit ihrem Buch einfach auf den erfolgreichen Zug der Dystopien aufspringen wollte. Sie hat eine eigene, verkorkst geniale Welt geschaffen, die auf ihre Weise funktioniert und überzeugt. Man spürt, wie viel Ideen und Gedanken sie miteinander verknüpft hat, um etwas Eigenes zu schaffen. Und das ist ihr gelungen.

All meiner Begeisterung zum Trotz ist es Amy Ewing aber doch tatsächlich gelungen, dass ich ihr Debüt eher ernüchtert als erfreut, ja gar frustriert zugeschlagen habe. Der Reihenauftakt hätte großes Potenzial gehabt, um zu einem Must-Read gekürt zu werden, das definitiv auch den Stoff zu einer genialen Verfilmung bietet – wäre da nicht die Liebesgeschichte gewesen, die klischeehafter, unehrlicher und enttäuschender kaum sein könnte. Mitten aus dem Nichts entfacht völlig an den Haaren herbeigezogen ein Feuer der Leidenschaft in Violet, das nicht zu bändigen ist. Er ist ihre große Liebe, ganz gewiss, nur für den Leser sind diese Gefühle absolut nicht nachvollziehbar. Die überdramatisierte und aufgesetzte Liebelei, die sich ab der Hälfte plötzlich in die Handlung drängt, raubt dem Roman seine gesamte Spannung und Authentizität. Amy Ewing hat es tatsächlich geschafft, meine Begeisterung wie ein Kartenhaus zusammenstürzen zu lassen. Selten habe ich ein Buch gelesen, das so viel Potenzial verschenkt hat.

*Fazit:*
Ich bin sprachlos. Mit „The Jewel“ hätte Amy Ewing wirklich ein geniales Debüt abliefern können. Absolut alles hat gestimmt: ihre grausame Welt voller dystopischer Elemente hat mich mit Gänsehaut-Atmosphäre fasziniert und erschreckt, Violet hat als Protagonistin auf ganzer Linie überzeugt und auch die Entwicklung der Geschichte hat mich nicht mehr losgelassen. Doch dann hat sich die Autorin tatsächlich entschieden, eine unglaubwürdige und völlig an den Haaren hergezogene Liebesgeschichte in ihren Roman einfließen zu lassen, die absolut keinen Platz mehr für die eigentliche Handlung gelassen hat. Das war wirklich ein großer Schuss in den Ofen. In der Hoffnung, dass Amy Ewing in der Fortsetzung wieder den richtigen Fokus für ihre Geschichte findet, vergebe ich schwer enttäuschte 2 Lurche. Dabei hätte es durchaus ein Lieblingsbuch werden können…