Rezension

Berührende Geschichte

Bevor es Morgen wird
von Tracie Peterson

Bewertet mit 5 Sternen

„...Sie lebte in einer Welt, in der früher ihr Vater und jetzt ihre Brüder sich ihr eigenes Gesetz waren und Moral nach ihrem Geldwert gemessen wurde...“

 

Wir befinden uns in Kansas City im Jahre 1870. Lydia wurde als junges Mädchen mit Floyd Gray verheiratet, weil sich ihr Vater davon geschäftliche Vorteile versprach. Für Lydia war die Ehe die Hölle auf Erden. Nun sind sowohl ihr Vater, als auch ihr Ehemann in Folge eines Kutschenunfalls verstorben. Ihre Stiefsöhne rechnen mit dem alleinigen Erbe und wollen Lydia so schnell wie möglich auf die Straße setzen. Doch es kommt anders. Lydia verlässt den Ort und zieht zu ihrer Tante Zerelda nach Sitka auf Alaska. Dort findet sie Ruhe und Frieden. Der älteste Stiefsohn aber hat keinesfalls aufgegeben.

Die Autorin hat einen fesselnden Roman geschrieben. Die Protagonisten werden gut charakterisiert. Lydia möchte nur noch frei sein und ohne Angst leben können. Nicht nur ihr Bild von Männern ist zerstört, auch von ihrem Glauben an Gott ist nichts übriggeblieben. Sie fühlte sich in den vergangenen Jahren alleingelassen. Ihre Tante nimmt sie liebevoll auf. Zerelda ist Krankenschwester und genießt im Ort hohes Ansehen.

Marston Gary ist der Sohn seines Vaters. Er hat während der Ehe Lydia seine Verachtung spüren lassen und kann sich jetzt mit dem Ergebnis der Gerichtsentscheidung nicht zufriedengeben. Lydias Verschwinden aus Kansas City kam für ihn unerwartet. Er ist es nicht gewohnt, dass sich ihm jemand widersetzt. Evie ist die Jüngste der Geschwister. Obiges Zitat stammt von ihr. Es beschreibt exakt ihre Familie.

Der Schriftstil des Buches lässt sich angenehm lesen. In Sitka kommt Lydia zur Ruhe. Zu den Höhepunkten der sprachlichen Gestaltung gehören ihre Gespräche mit Zerelda über die Fragen des Glaubens. Ihre Tante geht behutsam auf Lydias Probleme ein und sagt ihr ehrlich, wo sie keine Antwort hat. Warum Gott Leid und Schmerz nicht verhindert, weiß sie auch nicht, doch sie setzt ihr Gottvertrauen dagegen. Sehr berührend fand ich den letzten Brief des Vaters an Lydia. Er bekennt seine Fehler und bittet um Vergebung. In Alaska trifft Lydia auf Tlingit-Indianer. Ihre Lebensverhältnisse werden gut wiedergegeben. Das gleiche gilt für die Veränderung in der Stadt, die sich ergeben haben, nachdem die USA Alaska von Russland gekauft hat. Die Autorin versteht es, die Emotionen der Protagonisten gekonnt in die Handlung zu integrieren. Lydias Angst vor den Stiefsöhnen, Kjells ruhige Gelassenheit und Geduld sowie die grenzenlose Liebe der Tante zu Lydia durchziehen die Geschichte. Das Gegenteil dazu sind Marstons Habgier und Menschenverachtung.

Das Cover mit der jungen Frau passt zum Inhalt.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es geht um Vergebung und Neuanfang, aber auch um Hass und Rache. In diesem Spannungsfeld entwickelt sich eine fesselnde und berührende Geschichte.