Rezension

Herzerwärmende Geschichte mit Seitenhieben auf die engherzige Spießbürgerlichkeit

Das Schloss in den Wolken - Lucy Maud Montgomery

Das Schloss in den Wolken
von Lucy Maud Montgomery

Bewertet mit 5 Sternen

Hinter dem süßen, tapetennostalgischen Cover verbirgt sich die bezaubernde Geschichte einer jungen Frau, die – entgegen aller Konventionen – Anfang/Mitte des vergangenen Jahrhunderts ihren eigenen Weg beschreitet. Die Botschaft dieser Geschichte ist so einfach und alt wie zeitlos gültig, dass man sich beschämt wundert, wie häufig man diese Weisheit im eigenen Alltag immer wieder vergisst: Die Ursache allen Übels ist die Angst! Wieviel Zeit unseres Lebens verbringen wir damit, uns zu sorgen und zu ängstigen, uns im Kreis zu drehen und uns selbst in den Schwanz zu beißen? Zu viel! Und was passiert, wenn wir aufhören genau dies zu tun? Richtig! Nichts. Zumindest nichts Schlimmes. In allererster Linie wäre einfach die Angst weg. Probleme werden sich nicht in Luft auflösen, wohl aber diese elende Schockstarre, die eiskalt in unsere Adern kriecht, uns lähmt, Probleme potenziert und Veränderungen erschwert, wenn nicht gar von vorneherein ausschließt.

Auch Valancy Stirling leidet still. Für sie findet sich einfach kein Mann. Mit knapp 30 Jahren tendieren ihre Chancen auf eine Ehe und damit die Aussicht, endlich aus dem Haus ihrer ewig eingeschnappten Mutter und der wehleidigen Tante herauszukommen gegen Null. Das ist bitter und genauso bitter sind Valancys Gedanken. Von der buckligen Verwandtschaft seit Kindertagen verspottet, herabgewürdigt und gerne daran erinnert, wie wenig anziehend sie sei, wie seltsam und farblos, ist das Selbstbewusstsein der jungen Frau inzwischen dahin. Trost und Zuflucht vor dem grauen Alltag findet sie lediglich in ihren Tagträumen vom blauen Schloss. An ihrem 29. Geburtstag jedoch gibt es für Valancy eine wichtige Erkenntnis und damit große Veränderungen. Brav und folgsam war gestern. Von jetzt an macht Valancy was ihr gefällt.

Der Klappentext verrät noch sehr viel mehr, für meinen Geschmack deutlich zu viel. In Grundzügen findet ihr dort den kompletten Verlauf der Geschichte. Deshalb kann ich empfehlen, die Inhaltsangabe einfach zu ignorieren und sich ganz von den Ereignissen überraschen zu lassen.

Das Buch wurde im Original bereits 1926 veröffentlicht, doch erst 2015 ins Deutsche übersetzt. Vielen ist die Autorin sicher von ihrer Buchreihe „Anne auf Green Gables“ bekannt, bei mir selbst fiel der Groschen erst nach ein wenig Recherche, weshalb ich anfangs dachte, es handele sich um eine moderne Geschichte. Es mag an der grandiosen Übersetzung liegen, aber ich war höchst erstaunt von dem ungekünstelten, formlosen und sehr melodischen Schreibstil der Autorin. Immerhin! Dieses Buch wurde vor 90 Jahren geschrieben. Aber die Sätze sind weder kompliziert noch verschwurbelt, falls dies irgendjemand befürchten sollte. Und die Handlung wird von einer feinen Ironie begleitet, die einer Jane Austen alle Ehre macht.

"Tante Isabel, geradeheraus und unangehm wie ein kalter Ostwind, würde sie auf irgendeine Art kritisieren. Wie, war nicht vorauszusehen, denn Tante Isabel sprach nie zweimal dieselbe Kritik aus." Seite15

Ein Drittel des Buches rechnet Valancy in dieser Art mit der spießigen, heuchlerischen, teilweise boshaften und sehr zahlreichen Verwandtschaft ab, bevor die Handlung eine Wendung nimmt. Bis dahin ist man bereits derart von der Geschichte gefesselt und von Valancys Leben berührt, dass man ihr überall hin folgen würde – in die tiefsten Tiefen des Schicksals oder aber hinauf zu den höchsten Höhen.
Was sich Montgomery für Valancy ausgedacht hat sei jedoch nicht verraten. Vielleicht soviel: Ich hatte den Eindruck, dass es der Autorin darum geht, bei den Lesern ein Gefühl der Hoffnung und des Mutes zu erzeugen. So entwickelt sich die Geschichte teilweise märchenhaft und unwahrscheinlich, aber mit viel Augenzwinkern nie wirklich kitschig. Jedoch auch niemals albern oder parodistisch.

Lucy Maud Montgomery ist für ihre starken und mutigen literarischen weiblichen Figuren bekannt. So entdeckt auch Valancy in sich ein so tiefes Vertrauen in das eigene Gespür, dass – egal, was da kommen mochte – ich während des Lesens immer überzeugt war, es werde sich schon alles fügen, weil sich Valancys Handlungen und Worte für mich so enorm richtig anfühlten und damit auch nur das Beste verdienten.

Die Autorin besitzt ein großes Talent für sinnliche, poetische, teilweise verklärende Landschaftsbeschreibungen, die sich in der zweite Hälfte des Buches steigern. Man kann sich in diese Beschreibungen fallen lassen wie in ein weiches Kissen, muss dies aber wohl auch mögen. Sie unterstreichen für mich auf ganz wundervolle Weise das Abstreifen gesellschaftlichen Druckes und die Schlichtheit wirklichen Glücks.

"(…)doch von den größeren Inseln wuchsen Lichter wie Blumen auf den See hinaus und an den Ufern leuchteten Lagerfeuer auf, die in die Schatten des Waldes hineinflossen und große, blutrote Bänder auf das Wasser warfen." Seite 251

In nur zwei Tagen habe ich diese traumhaft schöne Geschichte regelrecht durchlebt und hätte mir gewünscht, dass sich das Lesegefühl und die Botschaft in mein Herz brennen: Seid furchtlos und haltet die Augen offen. Wenn das Glück kommt, greift zu!
"Das Schloss in den Wolken" wird in der ersten Reihe meines Buchregales stehen und mich hoffentlich täglich daran erinnern, mehr auf die eigene und weniger auf andere Stimmen zu hören. Ein Buch für Jung und Alt und alle, die Freude an herzerwärmenden Zeilen haben.