Rezension

Brisantes Thema

Die verlorenen Kinder - Michael Seitz

Die verlorenen Kinder
von Michael Seitz

Bewertet mit 5 Sternen

„...Wenn ich eins nicht mag, ist es die Reizbarkeit und Impulsivität von Männern. Ich habe lange genug mit einem launischen Mann zusammengelebt!...“

 

Das Buch beginnt im Jahre 1969. Kursiv werden die Gedanken und Gefühle eines Kindes wiedergegeben, eines Kindes, das dem wiederholten Missbrauch Erwachsener ausgesetzt ist.

Dann wechselt die Geschichte in die Gegenwart. In einem Wiener Altenheim wird ein Bewohner ermordet. Die Nachtschwester wird inhaftiert.

Falco Brunner, einst Polizist und jetzt Privatdetektiv, vergnügt sich gerade mit einer alten Bekannten in seiner Wohnung, als eine Frau klingelt und sich nicht abhalten lässt, in die Wohnung zu drängen. Susanne Markhof stellt sich als Witwe des Toten vor und beauftragt Falco mit der Aufklärung des Mordes. Sie weist ihn darauf hin, das es vor 5 Jahren einen ähnlichen Mord gegeben hat.

Der Autor hat einen fesselnden und brisanten Krimi geschrieben, denn die Hintergrundgeschichte entspricht der Realität. Der Roman lässt sich zügig lesen und hat mich schnell in seinen Bann gezogen. Dazu trägt bei, dass die relativ kurzen Abschnitte jeweils mit Datum und zum Teil Uhrzeit versehen sind.

Während Falco Brunner im Auftrag der Witwe ermittelt, tut das Kriminaloberinspektor Bruno Horvath mit seinem Team vom Amts wegen. Falco und Bruno waren einst Freunde. Das aber hat sich zerschlagen. Es lag nicht nur daran, dass die Gerichtsmediziner Christina Brunner nach ihre Scheidung von Falco mit Bruno liiert ist. Obiges Zitat stammt von Christina. Darin zeigt sie Bruno seine Grenzen auf.

Der Schriftstil ist abwechslungsreich. Beklemmend lesen sich die kursiven Teile. Dort kommen Kinder zu Wort und schildern ungefiltert ihre Eindrücke und Bedrängnis. Als stilistisches Element durchziehen die Figuren aus Star Wars wie ein roter Faden die Handlung. Hier geht es um die Auseinandersetzung zwischen der hellen und der dunklen Seite der Macht. Neben sachlich erzählenden Teile gibt s heftige Dialoge und zynische Episoden. Insbesondere Gruber, Brunos Vorgesetzter, neigt zu Zynismus. Die Ermittlungen führen in die Vergangenheit. Hier wird deutlich, wie Korruption, Machtmissbrauch und Vertuschung zu schwerwiegenden Folgen führen. Der Kindesmissbrauch in Wiener Kinderheim wurde jahrelang unter den Teppich gekehrt. Er könnte ja ein schlechtes Licht auf hochrangige Politiker und Kirchenvertreter werfen. Wurden nun die Opfer zu Tätern? Haben sie das Recht in die eigene Hand genommen? Personelle Verstrickungen werden gut dargestellt und sorgen für eine Vielzahl von möglichen Tätern. Die Wahrheit spielt in den Gesprächen nur eine untergeordnete Rolle. Es kommt den meisten darauf an, für Verwirrung zu sorgen und die eigenen Absichten zu verschleiern. Die Kriminalisten bekleckern sich auch nicht gerade mit Ruhm. Falco ist ihnen meist einen Schritt voraus. Sehr gut herausgearbeitet werden die psychischen Verletzungen der einstigen Opfer. Ihr Leben wurde durch das Geschehen unwiderruflich geprägt. Erschütternd fand ich auch, wie stark nazistischen Gedankengut in Österreich noch verbreitet ist und welche Rolle dabei sogenannte Burschenschaften spielen. Gut erklärt wurden Fachbegriffe. Ab und an verwendet der Autor den Wiener Dialekt. Das gibt der Handlung eine zusätzliche Authentizität.

Das dunkle Cover mit dem Fahrrad wirkt düster.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es arbeitet ein finsteres Kapitel Wiener Geschichte in einer fesselnden Handlung auf und ermöglicht eine vielschichtige Sicht auf die Opfer.