Rezension

Eine Wiederentdeckung, fast ein Jahrhundert nach Erstveröffentlichung.

Johanna - Fritz Rosenfeld

Johanna
von Fritz Rosenfeld

Bewertet mit 5 Sternen

"Johanna" erschien zunächst als Fortsetzungsroman im Jahr 1924.

Der Fokus liegt deutlich auf der Lebenswirklichkeit der Armen, Unterdrückten der Zeit – insbesondere der täglichen Realität der ungebildeten Frauen der unteren Schichten. Der erst knapp 20-jährige Autor zeigte hier ein starkes Interesse und Gespür für soziale Konflikte, die er ungeschönt und drastisch wiedergibt.

“Johanna” zeichnet das bedrückende Bild einer Frau, die ohne eigene Schuld zunehmend verelendet und in der Gesellschaft immer weiter absteigt. Das ist schwer zu lesen – da muss man oft tief durchatmen und das Buch erstmal zur Seite legen. Man wünscht sich, dass Johanna Fuß fasst, dass ihr endlich, endlich Gerechtigkeit widerfährt, und doch wird aus dem Abstieg ein ungebremster Absturz, mit nur wenigen Momenten des Trostes und der Geborgenheit.

Sie wird ausgenutzt, gequält, verleugnet, belogen, geschändet – ihr Leben wird zur bloßen Existenz, während die Hoffnung immer mehr erlischt. Wenn die Justiz doch mal eingreift, dann als Klassenjustiz mit Vorverurteilung. Johanna zählt nicht; als Mitglied der unteren Schicht ist sie Wegwerfware, deswegen wird ihre Perspektive nicht gehört. Ihr Leben ist ein Mahlstrom der Ungerechtigkeiten. 

Rosenfeld schildert das alles ungeschönt, mildert nicht die Brutalität, die Johanna erfährt. Man will kaum glauben, dass ein Mensch, der ohnehin nichts sein eigen nennt, noch mehr verlieren kann. Besonders an die Nieren geht der Gedanke, dass Johanna zwar von Rosenfeld erfunden wurde, dass es jedoch zu der Zeit sicher unzählige Johannas gab. Ich fühlte mich an Charles Dickens erinnert, der in ähnlichen Formaten, also als Fortsetzungsroman, die Missstände seiner Zeit ebenfalls sozialkritisch in den Fokus stellte.

Stil, Sprache und Inhalt zeigen eine Reife, die für einen so jungen Autor überrascht. Die Sprache ist zwar schlicht, vielleicht mit Hinblick auf möglicherweise weniger gebildete Leser der Zeitung, doch ungemein ausdrucksstark.

Ich konnte mich kaum lösen von der Geschichte, obwohl die Lektüre beleibe keine amüsante, erfreuliche ist. Man spürt, dass der Roman die Missstände anprangern, dass er erschüttern und aufrütteln soll – und wie soll er das erreichen, ohne den Leser das Elend und den Schmerz spüren zu lassen? Ich war erschüttert, ich fühlte mich aufgerüttelt, und vielleicht dauerte es deswegen mehrere Wochen, bis ich diese Rezension schrieb.

Fazit:

Johanna wird als Kind armer Leute geboren und schon sehr jung zur Waise. Es beginnt ein Leben voller Armut, Misshandlung und Entbehrung – sie wird allerseits ausgenutzt und geschmäht, ihr Wert misst sich immer nur an ihrem Nutzen als billige Arbeitskraft.

Der Roman erschien zunächst im Jahr 1924 als Fortsetzungsroman in der Arbeiter-Zeitung. Der gerade mal zwanzigjährige Autor prangerte die Umstände, in der Frauen der unteren Schichten leben mussten, darin scharfsichtig und schonungslos an.

Da wird nichts geschönt, da kann einem beim Lesen schon mal ganz elend vor Mitgefühl werden – dennoch empfehle ich das Buch, da es einen bestechend authentischen Blick in die Lebenswirklichkeit der Zeit bietet.

Diese Rezension erschien zunächst auf meinem Buchblog:
https://wordpress.mikkaliest.de/rezension-fritz-rosenfeld-johanna/