Rezension

Kriegsverbrechen und -traumata

Staub zu Staub - Felix Weber

Staub zu Staub
von Felix Weber

Bewertet mit 4 Sternen

"Staub zu Staub" zeichnet ein ungeschöntes, beklemmend düsteres Bild der letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit rund um das Jahr 1949 in den Niederlanden. Der Fokus liegt auf den Erlebnissen des Widerstandkämpfers Siem Coburg – ein schwieriger, indes interessanter Charakter voller moralischer Graustufen. Man kann seine Motivation und seine Gefühle durchaus verstehen, seine Gewaltbereitschaft ist dennoch erschreckend.⠀

Die Geschichte wird durch die Perspektiven diverser anderer Charaktere abgerundet. Viele davon bleiben über weite Strecken ambivalent und rätselhaft, dem Leser wird es nicht einfach gemacht, sie zu verstehen, geschweige denn als Identifikationsfiguren zu sehen. Man spürt aber immer eine gewisse Komplexität, und keine der handelnden Figuren wird platt vereinfacht. Hier wird eine Zeit dargestellt, die die Menschen an ihre Grenzen und darüber hinaus brachte, im Guten wie im Schlechten, und der Autor gibt beidem in der Darstellung seiner Charaktere Raum.⠀

Für mich handelt es sich hier eher um einen zeitgeschichtlichen Roman mit Krimielementen als um einen tatsächlichen Krimi – damit möchte ich dem Buch die Spannung allerdings nicht absprechen! Es ist auf seine ganz eigene Art fesselnd, originell und intelligent geschrieben. ⠀

Die Handlung teilt sich auf verschiedene Zeitebenen und Orte auf und springt zwischen diesen oft recht abrupt hin und her. Gerade anfangs ist es dadurch nicht immer einfach, sich zu orientieren: was passiert in welcher Reihenfolge und wo, wer ist involviert? Kann man anfangs das Gesamtbild höchstens erahnen, fügen sich die Splitter der Handlung nach und nach immer mehr zusammen. Daher sollte man nicht zu schnell aufgeben, wenn man erst Schwierigkeiten hat!⠀

Ich fand manchmal zwar verwirrend, wie die Szenen ineinander fließen und nicht immer in chronologischer Reihenfolge auftreten, aber es macht für die Geschichte viel Sinn. Herausfordernd, aber lohnend, ist auch die schiere Anzahl der verarbeiteten Themen, wobei vieles wohl auf Tatsachen beruht. ⠀

Dabei eröffnen manche der Charaktere eigene Handlungsstränge, die erst nicht unbedingt zusammenlaufen mit den Erlebnissen von Coburg, aber später meist doch eine Rolle für dessen Ermittlungen spielen. ⠀

Immer, wenn ich ein Buch lese oder eine Doku sehe, in denen die Zustände in Kinderheimen der Vergangenheit beschrieben werden, besonders solchen, die Kinder mit Behinderungen aufnahmen, fühle ich mich wieder schockiert und angeekelt – nicht von den Kindern, sondern von den Umständen, in denen sie leben mussten... Felix Weber zeigt diese Lebensumstände ohne Weichzeichner, aber auch ohne Dämonisierung der Schuldigen, die zum Teil (!) einfach unwissend und überfordert sind.⠀

Er verwendet Ausdrücke wie "Schwachsinnige", was mich bei einer Geschichte, die in der heutigen Zeit spielt, enorm stören würde. Hier spricht meines Erachtens jedoch nicht der Autor als Person, sondern er lässt die Charaktere der Zeit sprechen. Würden heutige Ausdrücke verwendet, würde das meines Erachtens der Authentizität der Geschichte schaden – und damit dem Leser auch weniger deutlich machen, wie entsetzlich damals mit diesen Kindern umgegangen wurde, zum Teil mit besten Absichten.⠀


Im letzten Teil des Buches gibt es überraschende Entwicklungen, die allerdings nur zum Teil vollkommen aufgeklärt werden. Das Ende war für mich etwas schwach – es bleibt für mich in vielem zu schwammig und unerschlossen, sowohl als Krimi als auch als historischer Roman.⠀

Diese Rezension erschien zunächst auf meinem Buchblog:⠀
https://wordpress.mikkaliest.de/rezension-felix-weber-staub-zu-staub/