Rezension

Nichts für schwache Nerven

Im Lautlosen - Melanie Metzenthin

Im Lautlosen
von Melanie Metzenthin

Bewertet mit 5 Sternen

Eines der grausamsten Verbrechen im 2. Weltkrieg. Emotional geschrieben, brillant recherchiert. Must read.

Das Buch:

Es handelt sich hier um den ersten Band aus der Reihe Leise Helden, obwohl das Buch zeitlich betrachtet nach “Die verstummte Liebe” - dem 3. Band der Reihe - angesiedelt ist. In dieser Geschichte widmet sich die Autorin einem der grausamsten Verbrechen des 2. Weltkrieges - der (Kinder-) Euthanasie - und zeigt auf, dass es Menschen gab, die ohne Aufhebens und oftmals ohne Rücksicht auf Konsequenzen im Stillen halfen.

Worum geht’s?

Richard und Paula lernen sich bei einer Vorlesung in der Universität kennen und es dauert nicht lange, bis sie sich zueinander hingezogen fühlen. Beide streben an Psychiater zu werden - er, weil schreckliche Behandlungen seinen Bruder das Leben kosteten, sie, weil bereits ihr Vater Psychiater ist. Während Richard nach dem Studium tatsächlich eine Stelle als Psychiater bekommt, arbeitet Paula im Kinderkrankenhaus. Bereits vor dem 2. Weltkrieg werden Stimmen laut, dass sogenannte Irre und Behinderte kein lebenswertes Leben hätten und man ihnen den Gnadentod gewähren sollte. Während des Krieges verschärft sich diese Situation und als Richard erfährt, dass seine ehemaligen Patienten umgebracht wurden, nachdem er die Meldebögen ordnungsgemäß ausfüllte, erstellt er fortan falsche Gutachten um weitere Menschen vor der grausamen Euthansie zu bewahren. Leider geht das nicht lange gut…

Charaktere:

In diesem Roman stehen Richard und Paula im Mittelpunkt. Von Anfang an sind sie Sympathieträger. Während sie sich vor dem Krieg gegen die üblichen Anfeindungen wegen Herkunft und Geschlecht behaupten müssen, wird es nach der Machtergreifung der Nazis zusehends gefährlicher eine menschenfreundliche Einstellung zu haben. Besonders schlimm wird es für die beiden, als ihr Sohn Georg taub zur Welt kommt und somit ebenfalls zum Ziel des verbrecherischen Systems wird. Der Leser leidet, hofft und bangt mit der Familie. Als Richard mit seinen falschen Gutachten auffliegt, kann er zwar mithilfe seines besten Freundes Fritz das Schlimmste vermeiden, an die Front wird er dennoch eingezogen. Und nun ist es an Paula die Familie - und ganz besonders Georg - zu beschützen. Melanie Metzenthin zeigt am Beispiel dieser Familie beeindruckend, wie grausam dieser Krieg wirklich war, was es bedeutete in den Bombennächten von Hamburg alles zu verlieren, sich Verbrechern in Arztkitteln gegenüber zu sehen, hilflos zu sein, weil man kaum Rechte hatte und wie wichtig es war, eine gute Familie und Freunde zu haben, auf die man sich verlassen kann. 

Einer dieser Freunde ist Fritz Ellerweg. Selbst an die Front eingezogen schafft er es, seinen besten Freund zu sich ins Nordafrikakorps zu holen und ihn damit vor einem Einsatz an der Ostfront zu bewahren. Richard und Fritz sind beste Freunde und das spürt man beim lesen sehr deutlich. Obwohl es ihnen selbst nicht gut geht in diesen furchtbaren Zeiten sind sie für den anderen da. Vor dem Krieg lernt der Leser beide Männer als humorvolle, kluge Familienmenschen kennen, denen niemand etwas schlechtes wünscht. Vielleicht ist gerade das der Grund, weshalb beide Schicksale sich so ungerecht anfühlen. 

Demgegenüber stellt die Autorin genauso authentisch ihre Antagonisten dar. So hat es Richard mit einem gewissen Dr. Krüger zu tun, der auch Richards Sohn umbringen lassen will. Durch das System des 3. Reiches unterstützt fällt es Krüger ausgesprochen leicht, einerseits Richard auffliegen zu lassen und ihm andererseits das Leben in Bezug auf Georg besonders schwer zu machen. Auch hier ist es wieder diesen leisen Helden zu verdanken, dass Georg diesem Schicksal entgehen kann. Dr. Krüger war für mich von Anfang an der Unsympath überhaupt, ein Monster. Bereits vor dem Krieg war er ein Widerling mit dem man besser nichts zu tun haben wollte. 

Das Besondere an den Charakteren der Autorin ist, dass sie oftmals einen oder mehrere ganz reale, historische Paten haben. Das macht sie aus meiner Sicht besonders authentisch und die Geschichte besonders schockierend. Es fällt dem Leser nicht schwer gut und böse zu unterscheiden und selbst wenn wir die Geschichte des 2. Weltkrieges schon in- und auswendig kennen, so sind es diese ganz persönlichen Schicksale ihrer Figuren, die dem Leser die gesamte Grausamkeit dieser Zeit entgegenschleudern. 

Schreibstil:

Wie immer schreibt Melanie Metzenthin überaus anschaulich und lebendig. Die Seiten fliegen einfach dahin und man taucht in die Geschichte ein. Anfangs führt sie ihre Figuren in einer schönen, vor allem ruhigen Zeit ein und beinahe schleichend beginnen sich die Schicksale vor ihnen aufzutürmen. Das faszinierende ist, dass man sich irgendwann selbst ertappt, dass man diesen schleichenden Prozess gar nicht bemerkt. Man schüttelt hier und da ungläubig den Kopf, lässt sich aber von der Geschichte weiter tragen. Wenn man aber nach ein paar Kapiteln zurück denkt, stellt man fest, dass da ja doch so einige Andeutungen waren. Es gelingt der Autorin dem Leser zu demonstrieren, wie es wohl gewesen sein muss; warum die Menschen nicht daran glaubten, dass Hitler gefährlich sein könnte. 

Auch ihrem Hamburg misst die Autorin viel Aufmerksamkeit bei. Dabei bleibt sie aber dezent genug um nicht aufdringlich zu sein, ist aber detailreich genug um dem Leser die Schönheit dieser Stadt zu zeigen - und später leider auch die furchtbare Ruinenwelt. Immer wieder fängt sie mich mit den Beschreibungen des alten Hamburg ein - vor allem deshalb, weil ich weiß, dass sie sehr akribisch bei ihren Recherchen dazu ist.

Ein ebenfalls nicht unwesentlicher Punkt ist der, dass Liebesgeschichten bei Melanie Metzenthin nicht kitschig sind. Ja, die Protagonisten lieben sich, das tun sie auch innig und überwältigend, aber niemals steht Gefühlsduselei im Vordergrund. Es sind ihre Taten füreinander, die diese Liebe auszeichnen.

Historische Hintergründe:

In einem sehr interessanten und recht ausführlichen Nachwort erklärt die Autorin viele Hintergründe ganz sachlich. Es lohnt sich unbedingt auch dieses zu lesen, denn nicht zuletzt erklärt sie hier, welche historische Person für welche fiktive Figur Pate gestanden hat. 

Die historischen Fakten sind recherchierbar. Man könnte nun sagen… ja, der 2. Weltkrieg wurde schon so oft thematisiert. Ja, wurde er. Aber Melanie Metzenthin tun das auf eine ganz besondere Art und Weise. Würde so Geschichtsunterricht gemacht, es blieben keine Fragen offen… 

Fazit:

Ein weiterer großartiger Roman aus der Feder von Melanie Metzenthin. Nicht nur Hamburgliebhaber, denen die Geschichte dieser Stadt am Herzen liegt, sind hier richtig. Diese Geschicht bewegt! Sie kann niemanden kalt lassen. Großartig geschrieben, brillant recherchiert, aber keineswegs etwas für schwache Nerven! 5 von 5 Sternen.