Rezension

Spannende Familiengeschichte

Zeitenschmiede -

Zeitenschmiede
von Judith Hages

Bewertet mit 4 Sternen

„...Alle Muskeln meines Körpers sind angespannt. Falls ich verfolgt und entdeckt werde, muss ich fliehen. Doch hier im Zug säße ich in der Falle...“

 

Mit diesen Worten beginnt ein spannender historischer Roman. Als Mina zu ihrer sterbenden Mutter eilt, lässt sie auf Arbeit ihr Tagebuch liegen. Darin stehen auch Sätze, die 1939 lebensgefährlich werden können. Sie bekommt mit, dass das Buch gelesen wurde. Nun ist sie auf den Weg zu ihrem Vater. Das einzige, was sie dafür zur Verfügung hat, ist eine Fotografie mit einem Namen in der Stadt Düren und dem Hinweis auf eine Schmiede.

Die Geschichte lässt sich gut lesen. Der Schriftstil ist abwechslungsreich und passt sich den Zeitverhältnissen an.

In Düren kommt Mina bei Familie Hansen als Dienstmädchen unter. Lena Hansen ist zwar nicht begeistert, aber Mina will nur Kost und Logis. Wilhelm Hansen arbeitet in der Fabrik. Sein Lohn reicht gerade so zum Leben. Die Schmiede war nicht mehr rentabel. Es ist wenige Tage vor Kriegsbeginn.

Sehr gut werden die Familienverhältnisse wiedergegeben. Lena hat Angst um ihre Söhne, und das nicht ohne Grund. Gleich bei Kriegsbeginn werden drei der Söhne eingezogen.

Dann wechselt die Geschichte in die Vergangenheit. Ich erfahre, wie Wilhelm Hansen mit seinem Bruder Heinrich nach Düren kam und in der Schmiede des Onkels das Handwerk lernte. Mina weiß nun, wer ihr Vater war.

Wieder gibt es einen größeren Zeitsprung. Im Jahre 1944 wird Hans Hansen an die Ostfront abkommandiert. Eigentlich ist er eher im Hinterland, denn er ist für die Reparatur der Fahrzeuge verantwortlich. Dort lernt er Liesel kennen. Die junge Frau lebt nach dem Tod der Mutter allein in ihrem Häuschen und arbeitet als Briefträgerin. Sie ist zurückhaltend und nicht so lebhaft wie ihre Freundinnen. Bisher war der Krieg in Ostpreußen fern.

 

„...Auch halb verhungerte, ausgebombte Familien aus den Großstädten waren in den Osten gebracht und bei ihnen einquartiert worden, was bei der hiesigen Bevölkerung für Unmut sorgte. In diesen Zeiten teilte man nicht gerne – weder Raum noch Lebensmittel...“

 

Noch ahnen sie nicht, dass sie selbst bald auf Hilfe angewiesen sein werden.

Als die russische Front näher rückt, gibt Hans seine Adresse an Liesel weiter. Er möchte sie nach dem Krieg wiedersehen. Im letzten Moment gelingt ihr die Flucht. Diese Zeit wird mit all ihren Unwägbarkeiten gut beschrieben. Mit grausamen Szenen ist die Autorin wohltuend zurückhaltend. Die Geschichte berichtet nun abwechselnd von Liesels Flucht und dem Leben der Familie Hansen.

 

„...Erst jetzt begriff sie, dass sie tatsächlich auf der Flucht war […] Und obwohl sie geplant hatte, nach dem Krieg alles hinter sich zu lassen, war es nie ihre Absicht gewesen, Ostpreußen für immer zu verlassen. Doch das hier fühlte sich endgültig an...“

 

Liesel ahnt, dass ihre Heimat verloren ist. Eine neue hat sie noch nicht. Werden Hans` Eltern sie aufnehmen? Wird sei ihn je wiedersehen?

Die Geschichte verfügt über einen hohen inneren Spannungsbogen. Auch die Personen werden gut charakterisiert. Auf einen möchte ich noch besonders eingehen. Lena Hansens Bruder Alo gilt eigentlich als das schwarze Schaf der Familie. In Kriegszeiten aber erweist er sich als raffinierter Taktiker, der die Familie über Wasser hält.

Die Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Die enthaltenen Originalbriefe geben ihr ihre besondere Authentizität.