Rezension

Eine etwas andere Familiengeschichte

Bildergestöber -

Bildergestöber
von Bernd Richard Knospe

Bewertet mit 5 Sternen

„...Es ist nicht so einfach zu entscheiden, welche Ereignisse und Personen einen Platz verdient haben und welche nicht. Das Warum ist dabei mindestens eben so wichtig wie das Wie der Darstellung...“

 

Diese Gedanken stammen von Richard, als er sich mit seiner Schwester Ruth darüber unterhält, wie eine Familiengeschichte aussehen sollte. Darauf komme ich später noch einmal zurück.

Der Autor hat eine spannende Familiengeschichte geschrieben. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Büchern ist er einen besonderen Weg gegangen. Die einzelnen Abschnitte sind nicht chronologisch geordnet, sondern nach Themen. Da jeweils das Jahr, der Ort und die handelnden Personen vorangestellt sind, war es für mich kein Problem, die Ereignisse einzuordnen.

Das Buch erstreckt sich über vier Generationen. Durch die Art der Darstellung werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich herausgearbeitet. Eine entscheidende Rolle kommt an vielen Stellen den Frauen zu.

Der Schriftstil ist abwechslungsreich und ausgereift. Durch Aufzählungen gelingt es den Autor, manche Situationen gekonnt zu verdichten.

 

„...Man kann entspannen, lachen, quatschen, diskutieren, lamentieren, palavern, Witze reißen, Sprüche klopfen, zuhören, weghören, nachdenken, beobachten, flirten, trinken, essen, Musik hören...“

 

Und wo kann man all dies? Natürlich in der Stammkneipe!

Ruth und Richard gehören zur vierten Generation. Es ist ein Karton mit alten Fotos, die Ruth und Richard betrachten und der Richard dazu animiert, die Familiengeschichte zu schreiben. Ab und an im Laufe des Buches lässt der Autor die beiden immer mal wieder zu Wort kommen und darüber diskutieren, was ins Buch gehört, wo die Realität erzählt wird und wie weit man seiner Phantasie Raum geben darf. Das geschieht an ganz konkreten Beispielen. Gleichzeitig wird deutlich, dass der Blick in der Bewertung der Vergangenheit und vorhandener Erinnerungen bei beiden durchaus stellenweise unterschiedlich aussieht.

Das Buch beginnt mit einer sogenannten Rahmenhandlung. Dazu nur so viel: Was für Magda, die der zweiten Generation angehört, kurzzeitig wie ein Ende aussah, erweist sich als Neuanfang. Am Ende schließt sich der Kreis.

Richard charakterisiert Ruth und sich sowie ihre Schwester Nicole, eine Nachzüglerin, folgendermaßen:

 

„...Ruth hatte im vergleichbaren Alter so ziemlich gegen alles aufbegehrt, was sich ihr in den Weg stellte, ich war jedem Hindernis und den meisten Konflikten mit Ignoranz und maulfaul ausgewichen, Nicole aber lebte im Mädchenzimmer wie in einem Elfenbeinturm...“

 

Die episodenhafte Darstellung des Lebens gibt auch einen gekonnten Einblick in die Zeitverhältnisse. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Kindererziehung. Manchen wird der folgende Standpunkt noch gut in Erinnerung sein.

 

„...Er tat sich schwer mit Diskussionen. Man hatte ihm das Reden beigebracht, und danach hatte er vorwiegend den Mund zu halten, wenn sich Erwachsen unterhielten. Oder es hieß, man habe als Kind nur zu sprechen, wenn man gefragt wurde...“

 

Die erste Liebe, Hochzeit, Urlaubsreisen, Krankheit, Hobbys – der Autor schöpft aus dem vollen Leben und bindet gesellschaftliche Ereignisse mit ein. Ab und an gibt es Sätze, die fast philosophisch klingen:

 

„...Irgendwie hatte Freiheit dann doch immer einen bitteren Nachgeschmack, weil man nie wusste, was hinter der nächsten Kurve wartete...“

 

Entscheidungen prägen das Leben, mal so und mal so. Für den einen waren es die Erlebnisse der Flucht, für andere die Bombennächte des Krieges. Immer war es eine Gratwanderung zwischen Möglichkeiten.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Gerade durch die Art dr Darstellung wird deutlich, warum sich Menschen so verhalten, wie sie sich verhalten.