Rezension

180 Grad Meer von Sarah Kuttner

180 Grad Meer
von Sarah Kuttner

Bewertet mit 5 Sternen

Auf Familienfotos sind nur die schönen Momente zu sehen, all die unangenehmen oder verwirrenden Situationen eines Lebens werden dort nicht abgebildet. So ähnlich ist es auch in Büchern: Liebe wird dort meist bedingungslos und groß dargestellt, die Protagonisten sind empfindsam und stark.

In „180 Grad Meer“ wird diese Routine durchbrochen. Das Gefühlsleben der Protagonistin Jule ist bedrückend, ihre Gedanken nicht immer nachvollziehbar und gerade deshalb so echt. In einer recht kaputten Familie groß geworden, hat die junge Frau einerseits eine starke Persönlichkeit entwickelt, ist andererseits verletzlich, zum Teil kindisch nachtragend und von ihren eigenen Gefühlen überfordert. Vor allem von ihrer eigenen Wut.
Die Handlung des Buches ist dabei eigentlich unspektakulär: von der depressiven Mutter und der eigenen bröckelnden Beziehung überfordert, reist Jule zu ihrem Bruder nach London. In seiner chaotischen aber unpersönlichen und ruhigen WG möchte sie zur Ruhe kommen, stolpert dabei über einen gestörten Köter und später über den eigenen (todkranken) Vater.
So wird aus Jules Reise eine Geschichte übers „erwachsen werden“ und „zu sich selbst finden“, die sehr berührend und angenehm authentisch ist. Rührende Hollywood-Versöhnungsszenerien sind hier ebenso wenig zu finden, wie „Eat, Pray, Love“-artige Ratgebersätze. Und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass mich diese Geschichte ganz direkt anspricht, auch eigene Gedankengänge und Erkenntnisse widerspiegelt.
Getragen wird diese interessante Mischung durch einen tollen Schreibstil. Wer Sarah Kuttner aus den diversen Fernsehformaten kennt, weiß dass sie nicht auf den Mund gefallen ist. Ihr schöner Wortwitz und das tolle, moderne Sprachgefühl finden sich auch in diesem Buch ganz eindeutig wieder. Aber „180 Grad Meer“ ist trotzdem kein in erster Linie humorvolles Buch, wirkt zum Teil wirklich bedrückend und dann schlussendlich so reinigend wie der Anblick eines grauen, stürmischen Meeres.

Für mich war „180 Grad Meer“ ein Erlebnis und klingt noch lange nach. Ein Buch dessen Protagonistin sich mir direkt ins Herz geschlichen hat, da sie so kaputt und ehrlich auch ihre düsteren Gedanken teilt und so dem Leser das Gefühl gibt „du bist nicht allein“. Nichts zu meckern,