Rezension

Abgründe und Traumata

Pursuit -

Pursuit
von Joyce Carol Oates

Bewertet mit 5 Sternen

Kurz vor ihrer Hochzeit holen Abby bezwungen geglaubte Dämonen ein. Der immer wiederkehrende Alptraum ihrer Kindheit ist zurück: Sie läuft auf einem knochenübersäten Feld an dessen Ende die Skelette ihrer Eltern auf sie warten. Einen Tag nach ihrer Eheschließung läuft Abby vor einen fahrenden Bus und liegt schließlich schwerverletzt im Koma. Ihr Mann Willem steht vor einem Rätsel: War es ein Unglück oder Absicht? Mehrere Passagiere berichten Abby sei kurz zuvor panisch aus dem Bus geflüchtet, als sie auf die Straße lief, war ihre Haltung entschieden und gefasst. Willem zweifelt und hofft, dass Abby bald aufwacht.  

Der Stil ist eigenwillig, der Text ist an vielen Stellen durch gedankliche Einschübe unterbrochen und verläuft nicht linear. Doch genau das macht es umso reizvoller, die Spannung bricht nie ab. Ein unangenehmer Mix aus Horrorgeschichte, Suspense, Psychogramm, Hoffnungslosigkeit. Klingt scheußlich? Ist es auch.

Doch Joyce Carol Oates brilliert im Aufzeigen von menschlichen Abgründen. Sie seziert diese regelrecht bis auf die Knochen, ohne sich in die Wahrnehmung des Lesers einzumischen. Wie sie es schafftt, die handelnden Personen in den Augen des Lesers nicht ihrer Menschlichkeit zu berauben, ist ganz ganz großes Kino.

Das ist nicht immer einfach zu lesen, für mich manchmal an der Grenze zum Unerträglichen. Zwei andere Romane von ihr habe ich deshalb unterbrochen und bis heute nicht weitergelesen. Doch eines Tages werde ich sie beenden. Denn "Pursuit" hat mich am Ende - ich kann es nicht anders sagen- erlöst. Ohne dass jedes Fragezeichen zweifellos weggewischt wurde.

Volle Punktzahl für eine Meisterin ihres Fachs.