Rezension

Abschied von der alten Welt

Ostende - Volker Weidermann

Ostende
von Volker Weidermann

Bewertet mit 4.5 Sternen

~~Es ist ein Trend, Geschichte als Collage aus lauter kleinen Puzzlestücken, aus Fakten und Anekdoten, Weltgeschichtlichem und ganz Privatem zusammenzusetzten. So entstehen Mischwesen aus biografischem Sachbuch, romanhaftem Einfühlen und fiktivem Füllen von Leerstellen. Ein sehr erfolgreiches Verfahren, das Florian Illies in "1913" oder auch Hans Pleschinski in "Königsallee" auf ihre je eigene Art angewandt haben. Volker Weidermann verfährt nun so mit der Schilderung eines Sommers. Es ist 1936, Deutschland schon fest im Griff des Nationalsozialismus, als sich im belgischen Seebad Ostende noch einmal die berühmten Gäste aus der Kunst- und Literaturszene zur Sommerfrische trafen. Egon Erwin Kisch, Arthur Köstler, Hermann Kesten, Erwin Toller und andere sind hier teils schon aus dem Exil angereist, um noch einmal unbeschwerte Tage zu verleben. Noch glaubt und hofft man, irgendwann in die alte Heimat zurückkehren zu können. Immer mehr zeichnet sich aber ab, das diese Hoffnung vielleicht unerfüllt bleiben wird. Im Zentrum des Buches steht das ungleiche Freundespaar Stefan Zweig und Joseph Roth. Stefan Zweig, der distinguierte, immer etwas abseits stehende Erfolgsschriftsteller und Joseph Roth, haltloser Trinker, literarisch immer weniger erfolgreich, finanziell und gesundheitlich ruiniert verbindet eine innige, aber dennoch distanzierte Freundschaft. Roth klammert sich an Zweig, brüskiert ihn gleichwohl, dieser leidet immer mehr am Verlust der europäischen Welt, die er liebte, kann und will Roth schließlich nicht mehr helfen. In kleinen Momentaufnahmen schildert Weidermann diese seltsame Freundschaft, diese seltsame Stimmung eines Sommers am Vorabend des Untergangs der alten europäischen Welt, der all die hier Versammelten so sehr verbunden waren. Es ist eine Atmosphäre des Abschieds, des Verlusts, die das Buch durchzieht, sehr einfühlsam, manchmal sogar ein bisschen zu gefühlsselig geschildert. Aber es vermittelt eindrucksvoll und kenntnisreich, was diese Menschen seit 1933 verloren haben, was aber auch Deutschland durch Verstoßung seiner intellektuellen Größen verloren hat. Ein Abschied von der "Welt von Gestern", wie Stefan Zweig sein großes autobiographisches Werk, bereits im brasilianischen Exil geschrieben, nennen wird. Am Ende schildert Weidermann, was aus all den Figuren im Laufe der Zeit noch wurde. Das ist in vielen Fällen todtraurig, macht aber Lust darauf, sich ihre Werke, deren Lektüre zumindest bei mir etliche Jahre zurück liegt, wieder einmal hervor zu nehmen.