Rezension

Absurdes Theater

Power
von Verena Güntner

Bewertet mit 3 Sternen

Dieses Buch, geziert von einem wunderschönen Waldcover, hat mich total verwirrt. Da verschwindet ein Hund namens Power und ein Mädchen, das sich Kerze nennt, verspricht ihn zu suchen. Anfangs noch allein, doch dann nimmt sie alle Kinder des Dorfes mit in den Wald, übt mit ihnen das Bellen und sich so wie ein Hund zu verhalten. Wochenlang bleiben sie im Wald und die Erwachsenen schauen dem Geschehen mehr oder weniger hilflos zu. Anstatt sich um die Kinder zu kümmern, erklären sie die Hundebesitzerin zur Schuldigen und ächten sie.

Was erwarte ich von einem Buch? Dass es mich unterhält. Dass es mich an Orte führt, die ich momentan nicht besuchen kann. Dass es mir die Sichtweise von anderen Menschen zeigt. Dass ich Neues lerne. Aber auch, dass es eine nachvollziehbare Geschichte erzählt.

Während dieses Buch die ersten Punkte erfüllt, ist die Geschichte alles andere als nachvollziehbar. Da entschließen sich Kinder dazu, freiwillig wochenlang im Wald zu leben und auf allen Vieren bellend ihre Umgebung zu erkunden. Ja, sie wollen den verschwundenen Power finden, doch für welchen Preis! Das ist so an den Haaren herbeigezogen, dass ich das Buch am liebsten wieder zugeklappt hätte.

Immerhin schaffte ich es, zwischen den ersten und den zweiten Teil ein anderes Buch einzuschieben, um „Power“ dann doch noch einmal zur Hand zu nehmen.

Und siehe da: plötzlich las sich der Roman anders. Denn im zweiten Teil entsteht das Psychogramm eines Dorfes. Ausgerechnet der verrückte Hubersohn ruft eine Versammlung ein. Allerdings schaffen es die Erwachsenen danach nur bis zum Waldrand und geben auf, nachdem die Kinder auf ihr Rufen nicht reagieren. Derweil versorgt die Hitschke (die verwaiste Hundebesitzerin) die Kinder mit Essen. Solange, bis ihre Vorräte aufgebraucht sind. Weil die Dorfbewohner sie als die Schuldige ansehen, kann sie sich im Dorf nicht mehr sehen lassen und keinen Nachschub mehr einkaufen …

Diesen zweiten Teil empfand ich als mitreißend. Da ließ mich die Autorin tief in die Gedankenwelt der Dorfbewohner eintauchen. Die Gefühle und Ängste der geächteten Hitschke wurden deutlich. Auch das abstoßende Verhalten ihrer Nachbarn war gut herausgearbeitet.

 

Wie soll ich nun dieses Buch beurteilen? Die unglaubwürdige Geschichte ist gut geschrieben. Nicht umsonst wurde das von der 1978 in Ulm geborenen Autorin für den Preis der Leipziger Buchmesser 2020 nominiert. Auch wenn mich der zweite Teil des Buches beeindruckt hat, kann ich nicht darüber hinweggehen, dass ich das Buch in der ersten Hälfte am liebsten abgebrochen hätte. So entscheide ich mich nach schwerem Ringen für drei Sterne.