Rezension

»Alles steckt voller Geschichten«

Die kleinsten, stillsten Dinge -

Die kleinsten, stillsten Dinge
von Sara Baume

Bewertet mit 4.5 Sternen

Sara Baume erzählt in »Die kleinsten, stillsten Dinge« eine zarte und traurige Geschichte, die mich auf ganz besondere Weise tief berührt hat. Unaufgeregt und doch hochspannend, still und laut, verzweifelt und hoffnungsvoll – es ist ein ungewöhnlicher Roman, der mit einer poetischen Sprache und klarer Einfachheit glänzt. Die Autorin gibt ihrem Protagonisten Ray eine eigene Stimme, mit der er zunächst mit sich selbst, im Verlauf der Handlung dann mit seinem Hund Einauge und so auch mit uns, den Lesern, in Dialog tritt.

Zu Beginn lernen wir den einsamen Mann mittleren Alters näher kennen, erleben seinen Alltag, der trist und alles andere als bemerkenswert ist. Zurückgezogen lebt Ray in dem alten Haus seines Vaters. Man versteht schnell, dass er nicht gern unter Menschen ist, sich aber dennoch nach Zuwendung sehnt. Eine Rattenplage im Haus, ein zufällig gehörtes Radiointerview, ein Aushang in einem Geschäft und vielleicht auch seine Einsamkeit bringen ihn schließlich auf die Idee, sich einen Hund aus dem Tierheim zuzulegen. Zufall oder Schicksal führen ihn und den entstellten, gegenüber seinen Artgenossen aggressiven Terriermix schließlich zusammen. Weil er nur noch ein Auge hat, nennt Ray ihn Einauge und fortan teilt er sein leeres Heim mit dem Tier. Die Ratten verschwinden, Herr und Hund blühen auf. Die beiden Ausgestoßenen geben einander Halt, doch es kommt auf den gemeinsamen Spaziergängen immer wieder zu Beißvorfällen mit anderen Hunden und das Ordnungsamt fordert die Herausgabe des Hundes. Erneut soll Einauge eingeschläfert werden.

»Aber das Leben lässt keine Gelegenheit aus, uns durchzuschütteln. Das Leben will uns immer wissenlassen, dass es das ja gleich gesagt hat.«

Ray kann diesen Gedanken nicht ertragen und flieht kurzerhand mit Einauge. Im Auto begeben sie sich auf die Reise und während Ray sein altes Leben hinter sich lässt, tauchen wir in seine Erinnerungen ein und erfahren nach und nach seine Lebensgeschichte.

Im Original heißt der Roman »Spill Simmer Falter Wither«, was wohl eine Metapher für die Jahreszeiten ist, die wir mit dem Duo hier durchleben. Es ist gleichermaßen auch die Umschreibung eines Lebens und so deutet vieles daraufhin, dass es wahrscheinlich kein Happy End geben kann. Dennoch hofft man, denn das ist es, was wir Menschen tun. Von Einauge lernt Ray sich seiner Vergangenheit zu stellen und im Hier und Jetzt zu leben. Das ist ein langsamer und zugleich heilsamer Prozess, dem wir im Handlungsverlauf beiwohnen. Denn erst, wenn wir die Vergangenheit hinter uns lassen, können wir nach vorn schauen und glücklich in der Gegenwart sein. Hunde sind uns mit dieser Fähigkeit voraus und so ist es wohl Schicksal, das die beiden zu Beginn zusammenführt.

»Ich wollte, ich wäre mit deiner Fähigkeit zum Staunen geboren. Es würde mir nichts ausmachen, ein kürzeres Leben zu haben, wenn dieses kürzere Leben so sehr mit Leben erfüllt wäre wie deins.«

Mit jedem zurückgelegten Kilometer arbeitet Ray seine Vergangenheit auf, erfährt das Gefühl gebraucht zu werden und gibt Liebe aus vollem Herzen. Es ist mehr als eine Zweckgemeinschaft, die die beiden verlorenen Seelen verbindet, und zugleich ist da die nagende Angst, das alles wieder zu verlieren. Denn das Geld reicht nicht ewig und es wird zunehmend kälter … es ist Zeit, sich zu entscheiden, sich dem Hier und Jetzt zu stellen.

»So geht das Leben dahin und wird verbraucht in dem Bemühen, es zu leben.«

Fazit

Sara Baume ist es gelungen einen wundervoll melancholischen Debütroman mit Tiefgang zu schreiben. Es ist eine zuweilen philosophische Geschichte der leisen Töne, die bemerkenswert weise und wahr(haftig) ist. Ich werde sie noch lange im Herzen tragen und kann dieses stilistisch etwas eigenwillige Juwel definitiv weiterempfehlen.