Rezension

Amy Waldman: Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt - Amy Waldman

Der amerikanische Architekt
von Amy Waldman

Ein wunderbares Buch: Intelligent, beeindruckend, nachdenklich, nachhaltig!

Fast jeder kann sich an die Bilder vom 11. September in New York erinnern. Die einstürzenden Türme, die grauen Gestalten, das Entsetzen und die Trauer. Aber auch an die Diskussionen über Rache, Vergeltung, Terrorbekämpfung, Trauerbewältigung und Schutzbedürfnis noch lange Zeit später. Amy Waldman hat einen beeindruckenden fiktiven Roman geschrieben, der kaum näher an der Realität sein könnte.

Claire Burwell hat ihren Mann bei den Anschlägen auf das World Trade Center verloren. Seither ist sie damit beschäftigt ihr Leben neu zu ordnen und ihrem kleinen Sohn Rückhalt zu geben. Sie selbst schöpft Kraft aus dem Gedanken, dass bald eine Gedenkstätte dem Ort des Grauens ihren Schrecken nimmt. Sie ist als repräsentative Betroffene Teil der Jury, die alle anonym eingereichten Entwürfe gesichtet hat. Die Geschichte beginnt mit der finalen Entscheidungsfindung zwischen zwei letzten Beiträgen. Der eine von Claire leidenschaftlich verteidigt, stellt einen Garten aus Metallbäumen umfasst von einer Mauer auf der die Namen der Opfer stehen, dar. Der andere, favorisiert von der einflussreichen Bildhauerin Ariana, besteht aus einem Granitquader auf dem die Namen eingemeißelt werden würden. Durch Claires leidenschaftlichen Einsatz und ihre Beharrlichkeit, gewinnt „Der Garten“ die nötige Mehrheit. Doch was dann folgt, konnte kein Jurymitglied erahnen. Alle hatten auf einen bekannten Künstler oder einen berühmten Architekten gehofft. Doch diesen Entwurf hat Mohammad Khan erstellt und eingereicht.
Ein Muslim.

Das trifft die Juroren wie ein Schock. Wird das von den Angehörigen und der allgemeinen Öffentlichkeit akzeptiert werden? Hat man nach der eindeutigen Wahl überhaupt noch die Möglichkeit den Sieg einem anderen Kandidaten zuzusprechen?
Als die Presse von der ganzen Angelegenheit Wind bekommt, überschlagen sich die Ereignisse. Claire gerät ins Kreuzfeuer der Hinterbliebenen, der Vorsitzende der Jury windet sich in Rechtfertigungen und Ausflüchten und auf der Straße wird Stimmung gegen Muslime und vor allem gegen den Entwurf Khans gemacht.

Mohammad Khan ist völlig überrumpelt von den Geschehnissen. In Virginia geboren als Kind eingewanderter Eltern in den 60er Jahren, wuchs Mo ohne jegliche religiöse Erziehung auf. Und jetzt findet er sich als vermummter Muslim auf dem Cover einer großen New Yorker Tageszeitung wieder, als Sieger des Auswahlverfahrens für die Gedenkstätte. Für Mo entwickelt sich der Tag nicht gerade zu einem Fest. Sein bester Architektenfreund ist sauer, da er ihn nicht in seine Pläne eingeweiht hat, sein Arbeitgeber, eine große erfolgreiche Architekturfirma würde den eingereichten Entwurf gerne unter der Firma laufen lassen, Politiker und Presse lauern und fordern private Informationen. Mo betrachtet die Dinge wie immer sehr nüchtern. Sein Entwurf ist von der Jury ausgewählt worden. Das ist Fakt und unumstößlich. Angaben zu seinem kulturellen Hintergrund, Lebenslauf und persönlicher Lebenswandel stehen für ihn nicht zur öffentlichen Diskussion.

Anhand der einzelnen Charaktere verfolgen wir nicht nur den Verlauf der Ereignisse, sondern erhalten auch Einblick in die Empfindungen eines ganzen Landes. Ein jeder legt sich eine andere Argumentationskette zurecht, beeinflusst durch familiären Hintergrund, einschneidende Lebensereignisse, Moral, Gewissen und schlicht Gefühl. Wir bekommen als Leser die unterschiedlichsten Perspektiven geschildert, dabei erscheint mal die eine sympathischer, mal die andere. Die Autorin schlägt sich niemals auf eine Seite oder drängt den Leser in eine bestimmte Richtung. Jeder der dieses Buch liest, kommt nicht drum herum inne zu halten, sich zu besinnen und eigene Vorstellungen und Meinungen zu überdenken. Moral, Toleranz und Angst sind oft sehr festgefahrene Definierungen und Gefühle, die aber immer wieder umgestoßen werden sollten.

Also wenn Sie mal wieder ein richtig gutes Buch in Händen halten wollen, greifen sie zu diesem!