Rezension

Anspruchsvoll

Chronik eines Grenzgängers: Lucys Verwandlung - Darius Buechili

Chronik eines Grenzgängers: Lucys Verwandlung
von Darius Buechili

Bewertet mit 4.5 Sternen

Im Prolog sucht ein Mann nach den Spuren seiner Erinnerung. Er fühlt, dass es wichtig wäre. Das Geschehen liegt für ihn im Nebel. In den folgenden Seiten hat sich für mich als Leser dieser Nebel gehoben.

Gero Schmidt ist  ein Wanderer zwischen den Zeiten. Doch das weiß er nicht. Nach einem Unfall fällt er ins Koma. Er löst sich aus seinem Körper und erwacht in dem Körper von Darius Buechili in einer fernen Zukunft. Die Menschheit hat die meisten Probleme ihrer Geschichte hinter sich gelassen. Dazu gehören auch die alten Philosophien und religiösen Strömungen. Gerade ist man dabei, für das letzte verbleibende Übel eine Lösung zu finden.

Intellektuelles und ökonomisches Zentrum ist die Stadt Anthrotopia. Dort spielt der größte Teil der Handlung. Wenige Abschnitte führen mich als Leser in die anderen Ringstädte. Kurze Einblicke erhalte ich in die Verhältnisse in den Rest der Welt. Ein Blick in die Vergangenheit schärft das Verständnis für das Verhalten der Menschen und insbesondere für die militärische Präsenz.

Die eigentliche Handlung nimmt nur einen Teil des Buches ein. Der Autor hat Wert darauf gelegt, die Welt der Zukunft umfassend und detailgenau zu beschreiben. Die technischen Spielereien und die biologischen Erläuterungen setzen nicht nur ein Interesse an naturwissenschaftlichen Themen voraus. Man sollte zumindest Grundkenntnisse in der modernen Physik und Informatik haben und mit den entsprechenden Fachbegriffen umgehen können. Viele Erfindungen der Gegenwart wurden weitergedacht und vervollkommnet. Das betrifft nicht zuletzt die jetzt schon absehbare Technikabhängigkeit. Man nutzt die Maschinenintelligenz, ohne sie wirklich zu verstehen und zu hinterfragen.

Ein weiterer Schwerpunkt des Buches liegt in den umfangreichen und sehr konträren philosophischen Diskussionen. Die Themen sind anspruchsvoll und zeichnen völlig neue Weltbilder. Dafür sollte man Interesse mitbringen, sonst wird man die Feinheiten der Geschichte höchstens oberflächlich begreifen. Dabei kommt es nicht darauf an, jede These wirklich bis ins letzte Detail zu begreifen. Ich fand es interessant, die Standpunkte im Lichte meiner eigenen Ansichten und Einsichten zu beleuchten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erfassen und mir eine Meinung dazu zu bilden.

Trotz aller technischen und finanziellen Möglichkeiten ist die Welt der Zukunft, wie sie der Autor schuf, keine konfliktfreie Welt. Sie hat eine Reihe an Schattenseiten, deren Beurteilung dem Leser obliegt.   

Wer einen spannenden SF-Roman mit Krieg und Kampf der Welten erwartet, ist bei diesem Buch definitiv falsch. Zwar werden auch diese Dinge berührt, dabei geht es allerdings vorwiegend um die Fähigkeiten der differenzierten und ausgefeilten Waffensysteme. Die Spannung ergibt sich zwar auch aus der aktuellen Handlung und den zu erwarteten Folgen, schwankt aber je nach Thema. Ich finde die Beschreibung von technischen Möglichkeiten und philosophischen Gedanken spannend. Das kann der zukünftige Leser durchaus ganz anders sehen.

Das Buch verlangt ein gründliches Lesen. Die Sprache ist häufig die Sprache der Wissenschaften. Emotionen kommen bestenfalls am Rande vor. Warum, dazu sollte man das Buch lesen.

Nachbemerkungen, eine Vorschau auf Teil 2 und ein umfangreiches Glossar finden sich am Ende des Buches.

Das Cover mit der DNA-Struktur, die sich auf der Rückseite fortsetzt, verdeutlicht einen der Kernpunkte der Handlung.  

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es ist eine intellektuelle Herausforderung und ermöglicht einen Blick eine überraschende Zukunft. Ob man sie lebenswert findet, ist dem Urteil jedes Leser überlassen.