Rezension

… auch der 2. Fall von Inspector Alan Grant überzeugt auf ganzer Linie!

Der letzte Zug nach Schottland -

Der letzte Zug nach Schottland
von Josephine Tey

Okay, du hast mich am Haken. Du hast deinen schmackhaften Köder ausgeworfen, und ohne nachzudenken habe ich zugeschnappt und hänge nun am Haken. Ich zapple zwar noch ein wenig hin und her – gänzlich ohne Gegenwehr kann ich mich doch nicht ergeben – aber wir wissen beide genau, dass ich rettungslos verloren bin.

Mit jedem weiteren gelesenen Roman von Josephine Tey, verfalle ich dieser Autorin mehr und mehr. Dabei sind ihre Krimis einerseits absolut „old-fashioned“ und gleichzeitig so wunderbar zeitlos. Zudem schuf sie mit Inspector Alan Grant einen solch bodenständigen und menschlichen Sympathieträger, der gänzlich ohne „Superkräfte“ auskommt, herrlich normal agiert und so deutlich näher an der Leserschaft ist als mancher der beinah übernatürlich brillanten Schnüffler wie Hercule Poirot oder Sherlock Holmes.

Inspector Alan Grant von Scotland Yard reist mit dem Zug nach Schottland. Gemeinsam mit einem alten Schulkameraden will er in den Highlands eine Auszeit nehmen, die herrliche Land­schaft genießen und sich von der, im Wortlaut seines Arztes, „Überarbeitung“ erholen. Kurz vor der Ankunft beobachtet Grant, wie es dem Schaffner im Abteil nebenan nicht gelingen will, einen Mitreisenden zu wecken – der Mann ist tot! Fast freut sich Grant ein bisschen, einmal nicht zuständig zu sein. Doch beim ersten Frühstück im Hotel fällt ihm eine Zeitung in die Hände, die er im Zug eingesteckt haben muss und die offenbar dem Toten gehörte. Ein rätselhaftes Gedicht, zwischen die Meldungen gekritzelt, weckt Grants detektivisches Interesse. Ob sich anhand der Handschrift und der merkwürdigen Verse etwas über die Identität des Mannes herausfinden lässt? Was als munterer Zeitvertreib beginnt, wird allmählich zu einer umfassenden Ermittlung, bei der Grant nicht nur das Gedicht entschlüsselt, sondern schließlich auch die Wahrheit über den Mord aufdeckt.

(Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

Seit "Alibi für einen König" bin ich ein Fan von diesem intelligenten und integren Ermittler, der mit nur allzu menschlichen Eigenschaften bzw. –arten ausgestattet ist. Sein Sinn für Humor überschneidet sich erfreulich häufig mit meinem Sinn für Humor. So sorgte er mit seinen ironisch-spöttischen Bemerkungen bei mir nicht nur einmal für ein spontanes Gelächter. Ebenso wie Josephine Tey die Handlung sich beinah organisch entfalten lässt, so gönnt sie auch den Dialogen ihre natürliche Entwicklung. Alles baut aufeinander auf, und bleibt gleichzeitig recht unspektakulär. So lässt Tey ihren Helden viel angeln, viel wandern und auch sonst sich viel in der Natur aufhalten – und dies geschieht seitenweise…! Nicht unbedingt die typische Vorgehensweise für eine Krimi-Autorin, um Spannung aufzubauen.

Doch warum legte ich das Buch nicht gelangweilt zur Seite? Weil – wie schon erwähnt – alles aufeinander aufbaut, und die Spannung eben genau aus dieser scheinbaren Belanglosigkeit heraus entsteht: Eben noch las ich die harmlose Beschreibung der Natur-Idylle, wenige Sätze weiter offenbarten sich entscheidende Hinweise für die Lösung des Falls. Zudem glänzt sie mit ihrer Figuren-Charakterisierung und überzeugt mit einer unterhaltsamen Beziehungsstruktur der handelnden Personen. Wie der titelgebende Zug, der nach einem Halt am Bahnhof erst langsam wieder die Geschwindigkeit erhöht, lässt sie auch die Handlung nur ganz gemächlich Tempo aufnehmen. Mir blieb somit nichts anderes übrig, als weiterzulesen.

Erstaunt war ich zudem, wie präzise und gleichzeitig respektvoll sie die „Überarbeitung“ unseres Helden beschreibt, der eindeutig Symptome eines Burnouts zeigt. Für das Entstehungsjahr des Buches (1952) war dies eine absolut moderne Sichtweise auf eine psychische Erkrankung. Chapeau!

Abermals war es mir ein großes Vergnügen, den Krimi einer Autorin, die viel zu lange unbeachtet blieb, zu lesen, der erfreulich unblutig daherkam, bar jeglicher billigen Effekthascherei war aber dafür durch eine gekonnte Erzählweise überzeugte. Bitte mehr davon!