Rezension

Auf den ersten Blick sehr wirr

Kane Complete Plays - Sarah Kane

Kane Complete Plays
von Sarah Kane

Bewertet mit 2.5 Sternen

Auch hier poste ich wieder Rezis für die einzelnen Elemente des Buches.

Blasted

Das Stück ist aufgeteilt in fünf Szenen, alle finden statt in einem Hotelzimmer in Leeds. Dramatis personae sind der Journalist Ian, seine ehemalige Liebschaft Cate und ein Soldat. Ian ist todkrank und begehrt Cate, wenn auch nur vorrangig sexuell. Cate wiederum will nichts mehr von Ian wissen, findet ihn teilweise sogar abstoßend. Ian nötigt die stotternde Cate zu sexuellen Handlungen und vergewaltigt sie. Ian leidet unter Verfolgungswahn und denkt, dass Menschen, die ihn töten wollen, ihm im Hotel auflauern. Tatsächlich dringt ein Soldat ins Hotelzimmer ein, nachdem Cate durchs Badezimmerfenster geflohen ist. Der Soldat berichtet Ian von den Grausamkeiten des Krieges und übt ebendiese an Ian aus, indem er ihn auszieht, ihn fesselt, seine Augen aussaugt und isst und ihn vergewaltigt. Danach erschießt er sich selbst. Cate kehrt zurück mit einem Baby, um das sie sich kümmern will. Kurze Zeit später stirbt das Baby. Cate verlässt das Hotel erneut, um in der Stadt Essen zu besorgen. In der Zeit, in der sie weg ist, isst Ian das tote Baby. Cate kommt am Ende mit Essen zurück und füttert den hilflosen Ian.

Öhm ja. Meins ist sowas nicht, noch dazu habe ich mich permanent gefragt, wie sowas auf einer Bühne dargestellt werden soll - und kam dann zum Schluss, dass ich es eigentlich nicht wissen will. Echt nicht.
Faszinierend war hier höchstens, dass die Charaktere recht genau gezeichnet waren: Cate lutscht dauernd am Daumen, ist infantil und sehr naiv. Ian dagegen ist älter, weiß mehr und versucht, ihr diese Naivität auszutreiben.

Ziemlich surrealistisch das Ganze und (siehe oben) teilweise ziemlich eklig zu lesen.
Empfehle ich nur, wenn ihr eine dehnbare Schmerzgrenze und keine zu bildliche Fantasie habt. Manche Dinge wollte ich mir einfach nicht vorstellen.

 

Cleansed

Dramatis personae sind Graham, Carl, Rod, Grace, Robin, eine Frau - allesamt Insassen einer (psychiatrischen?) Institution im Gebäude einer ehemaligen Schule - und Tinker, der Leiter der Einrichtung. Das Stück ist aufgeteilt in 20 Szenen. Jeder der Insassen ist verliebt in einen anderen, und Tinker nutzt seine Macht-Position aus, um herauszufinden, wie weit diese Personen in ihrer Liebe zu gehen bereit sind. Er experimentiert mit Demütigungen und Misshandlungen bis hin zu körperlicher Verstümmelung. Grace sehnt sich nach ihrem verstorbenen Bruder Graham, Carl und Rod sind ein Liebespaar, Robin ist verliebt in Grace, die ihm beibringt zu schreiben, Tinker liebäugelt mit der Frau, die in einer Kabine für ihn tanzt und die er zeitweise für Grace hält. Im Laufe des Stückes verstümmelt Tinker Carl, indem er ihm Hände, Zunge und Füße abschneidet, Rod schneidet er die Kehle durch. Grace wird zu einem Ebenbild ihres Bruders Graham, indem Tinker eine Geschlechtsumwandlung an ihr vornimmt. Für seine Liebe zu Grace wird Robin von Tinker gedemütigt, während Grace schon so sehr Graham ist, dass sie unempfänglich wird für ihre Umwelt. Robin stirbt, indem er sich erhängt. Auf der Suche nach der Antwort auf die Frage, was das Höchste ist, was ein Liebender dem anderen ehrlicherweise versprechen kann, lösen sich die Identitäten auf, so dass am Ende jede Figur einen Körperteil oder zumindest die Kleidung ihres Geliebten am Körper tragen. Während Grace und Graham zu einer Person verschmelzen, löst Carl sich auf. Kane selbst wollte keine naturalistische Darstellung dieser Grausamkeiten; sie verstand sie selbst als Metaphern und wollte sie auch so auf der Bühne dargestellt wissen.

Das Stück war sehr wirr zu lesen und teilweise recht psychedelisch geschrieben. Was auf jeden Fall auffällt: Irgendwie kam als Topos oft die Blume vor - egal was passierte, auf einmal wuchsen irgendwo Blumen aus dem Boden.
Ich fand es merkwürdig und wüsste allerdings zu gerne, wie die metaphorische Darstellung aussieht. Ergo habe ich eine Hausarbeit darüber geschrieben, wie Blumen, Räume und Farben in diesem Stück thematisiert werden. Dabei habe ich es gefühlte 20 Mal gelesen und somit ein besseres Verständnis dafür bekommen. Es ist aber auch weiterhin kein Stück, das man einfach mal schnell liest und dann weglegt.

 

Phaedra's Love

ramatis personae sind Theseus, seine Frau Phaidra, ihre Kinder Hippolytos und Strophe, ein Priester und ein Arzt. Das Stück ist unterteilt in acht Szenen, es findet statt am Königspalast des Theseus. Theseus ist im Krieg. Hippolytos ist der fernseh-, ess- und sexsüchtige Stiefsohn Phaidras, die in ihn verliebt ist. Zu seinem Geburtstag schenkt sie ihm ihre sexuelle Hingabe, die er nach einigem Zögern auch annimmt. Gleichzeitig verletzt er sie durch die Erwähnung der Tatsache, dass er ebenfalls Sex mit Strophe, seiner Stiefschwester hatte. Phaidra begeht Suizid. In ihrem Abschiedsbrief beschuldigt sie Hippolytos der Vergewaltigung. Dieser wird daraufhin in Gewahrsam genommen und soll hingerichtet werden. Ein Arzt und ein Priester bemühen sich um sein körperliches wie geistiges Seelenheil, wobei der Priester dem attraktiven Hippolytos ebenfalls verfällt und Oralsex mit ihm hat. Am Tag der Hinrichtung kehrt Theseus in die Stadt zurück, schwört, Rache an seinem Sohn zu nehmen, vergewaltigt seine eigene Tochter Strophe, die sich wie er verkleidet hat. Theseus schlitzt ihr die Kehle auf. Nachdem er sein Opfer als Strophe erkannt hat und Hippolytos im Sterben liegt, schlitzt er sich selbst auch die Kehle auf. Hippolytos wird von der Meute, die auf seine Hinrichtung wartet, gelyncht und erlebt zum einzigen Mal in seinem Leben die Abwechslung, nach der er sich immer gesehnt hat.

Ich gebe zu, die Original-Phädra nicht gelesen zu haben, vielleicht ist mir darum auch Einges aus der Neufassung entgangen. Aber ich bin kein Fan solcher Stücke, weil das Dinge sind, die ich auf der Bühne (oder generell) einfach nicht sehen wollen würde.
Und die ich auch lieber nicht gelesen hätte.
Während "Zerbombt" wenigstens noch psychologisch was hergab, habe ich hier leider nichts in der Richtung entdeckt.
Aber Geschmäcker sind verschieden, sonst wäre Kane nicht so bedeutend geworden.

 

Crave

Dramatis personae sind die vier Stimmen A, B,C und M, zu deren Identitäten Kane keine weitere Information gibt. In Interviews führte sie allerdings die Bezeichnung der Figuren aus; dabei steht A für Autor oder auch Aleister Crowley, Antichrist und Arschloch, B für Boy, also Junge, M für Mother/Mutter und C für Child/Kind. Im Stück bleibt offen, ob tatsächlich vier verschiedene Personen oder z. B. die Gedanken nur einer Person sprechen. Sie thematisieren in oft nicht zusammenhängenden Sätzen die Liebe und ihre Begierden und Sehnsüchte. Kanes Sprache erlebt eine sehr dichte Bildhaftigkeit und Poesie. Auch sind autobiographische Züge zu erkennen - die sehr detaillierte Liebeserklärung von A an eine nicht benannte Person ist voller Einzelheiten und Begebenheiten, die den Eindruck der Wahrhaftigkeit erwecken. Alle Stimmen artikulieren ihre jeweiligen starken Begierden nach Lösung und Rettung - dabei bleibt offen, ob diese durch Liebe oder durch den Tod erfolgen können. Das Stück endet mit einem Sturz ins Licht, der dementsprechend die Erfüllung der Begierde nach Liebe wie nach Tod sein kann.

Es war sehr anstrengend zu lesen, da die Figuren nur durch Buchstaben gekennzeichnet waren und ich mir irgendwie nie merken konnte, wer von diesen Figuren männlich und wer weiblich ist. Erst dank dem Artikel habe ich etwas mehr Zugang zum Stück erhalten - aber im Grunde genommen ist es wirklich so, dass fast ausschließlich mehr oder weniger beziehungslose Aussagen aneinandergereiht wurden.
Strange zu lesen. Vielleicht sollte ich die Lektüre aber irgendwann wiederholen, denn sowas finde ich eigentlich immer sehr inspirativ für meine eigenen Projekte.

 

4.48 Psychosis

Kane führt keine handelnden Personen auf. 4.48 Psychose ist eine Aneinanderreihung von Monologen, Zahlenketten und Dialogen ohne Rollenverteilung. Das Stück beschreibt die Erfahrungen einer Person mit depressiven Schüben, Suizidversuchen und therapeutischer Behandlung. Den Text durchströmt eine dichte Bilderwelt; der Leser oder Zuschauer wird mit der Wahrnehmung des depressiven, psychotischen Bewusstseins konfrontiert. Dementsprechend fragmentiert erscheint der Text des Stückes. Es treten zwar Beschreibungen von Handlungen, von Diagnosen und von Dialogen auf, doch lassen sich diese in keinen gültigen chronologischen Ablauf setzen. 4.48 Psychose ist Poesie in Form eines aufs Äußerste verdichteten Textes.

Und so ein Text kann ziemlich depressiv machen, muss ich zugeben. Der Text ist autobiografisch, kurze Zeit später beging die Autorin Selbstmord. Also habe ich ihn nicht zu nahe an mich herangelassen, da ich das Gefühl hatte, es würde mir nicht guttun.