Rezension

Auf der Suche nach dem eigenen Leben

Fadenschein -

Fadenschein
von Josef Krug

Bewertet mit 4 Sternen

REZENSION – In seinem Debütroman „Fadenschein“, im Mai erschienen im Aisthesis Verlag, erkennt man viele Gemeinsamkeiten im Lebensweg des Autors Josef Krug (71) mit dem seines Protagonisten Robert Benrath. Doch ein autobiographischer Roman ist es dennoch nicht. Ob es der Anzug zur Kommunion ist, der Anzug fürs Gymnasium oder der blaue Anzug zur Abiturfeier – es sind Robert Benraths konservative Eltern, die ihren Sohn in Anzüge zwingen, um damit in der Öffentlichkeit den Schein der Bürgerlichkeit zu wahren. Erst das Kind, später auch der Gymnasiast fügt sich in diese Rolle des Anzugträgers, die nicht seine ist und ihn einengt. Doch ihm fehlt die Kraft zum Widerspruch. Auch später in den 70er Jahren, weit entfernt vom strengen Elternhaus, ist der Soziologie-Student niemals wirklich frei. Es mangelt ihm an Selbstbewusstsein zur Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit. Wieder passt sich Robert Benrath, jetzt wild und bunt gekleidet, seinen Kommilitonen an. Er zieht an, was „man“ von ihm zu erwarten scheint. Was er als „Freiheit“ und Befreiung vom Elternhaus versteht, ist nichts anderes als nur eine Verkleidung: Er will auch hier, den Schein wahrend, nicht zum Außenseiter abgestempelt werden. Robert Benrath bleibt ein fremdbestimmter Mitläufer, der – gezwungen, Geld verdienen zu müssen – letztlich doch wieder einen Anzug trägt, wie „man“ es von ihm verlangt.

Auch wenn „Fadenschein“ kein autobiographischer Roman ist, gibt es dennoch etliche „Berührungspunkte“ zwischen Autor und Romanfigur: Beide sind in den 50er und 60er Jahren in einer Kleinstadt aufgewachsen, beide entstammen einer im Städtchen angesehenen Handwerkerfamilie, beide werden in der väterlichen Werkstatt als mithelfender Familienangehöriger handlangernd eingesetzt. Beide verlassen erstmals ihr Städtchen, um zunächst den Wehrdienst abzuleisten, dann in der fernen Großstadt Soziologie zu studieren. Doch hier endet die Gemeinsamkeit. „Probleme mit Anzügen, wie Robert Benrath sie hat, gab es bei mir nicht“, versichert der Autor. Anzüge, Uniform und Bekleidung aller Art bestimmen Robert Benraths Leben. Doch immer fühlt er sich fremdbestimmt. Immer gibt er nur „fadenscheinig“ vor, jemand zu sein, der er eigentlich nicht ist.

„Genaue Beobachtung, sensible Personengestaltung und eine Handlungsführung, die zu keiner Zeit den Faden verliert“, bescheinigt der Literaturwissenschaftler Walter Gödden dem Autor im Nachwort. Josef Krug verarbeitet in seinem Debütroman typische Szenen seiner Jugend- und Studentenjahre. Treffend schildert er das kleinstädtische Leben, wo jeder jeden kennt, wo jeder auf den anderen angewiesen ist; oder die wilden 70er Jahre an der Universität, jene Dekade der Jugendrevolte und Studentendemos, in denen man „unter den Talaren [der Professoren] den Muff von tausend Jahren“ zu vertreiben suchte und zumindest Gleichaltrigen gegenüber zum Schein vorgab, der freien Liebe zu frönen: „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.“ Dies alles ist nicht Benraths Welt – und doch muss er in dieser Welt leben.

Die Wiedergabe seiner genauen Beobachtungen in jener Zeit ist es vor allem, die Josef Krugs sprachlich angenehm zu lesendes Romandebüt „Fadenschein“ vor allem Lesern seines Alters die eigene Jugend- und Studentenzeit lebendig werden lässt. Jüngere Leser dürften bei Lektüre dieses Romans zur Erkenntnis kommen, dass vielleicht auch sie häufig nur „fadenscheinig“ handeln und in ihrem Tun um Anpassung bemüht sind, statt ihre eigene Persönlichkeit zu entwickeln, um selbstständig das Leben meistern zu können.