Rezension

Auf der Suche nach Selbstbestimmung

Die Grasharfe -

Die Grasharfe
von Truman Capote

Bewertet mit 5 Sternen

Collin lebt seit dem Tod seiner Eltern bei seinen Tanten Dolly und Verena. Dolly, die es liebt, Kräuter zu sammeln und daraus ein traditionelles Wundermittelchen zu mischen, mit dem sie sich eine bescheidene Einnahmequelle erarbeitet hat, lebt ein stilles und unauffälliges Leben an der Seite ihrer dominanten Schwester Verena. Als diese in Dollys Kräuterarznei ein Riesengeschäft wittert und ohne Dollys Einverständnis Marketingmaßnahmen ergreift, flüchtet Dolly mit Collin und ihrer besten Freundin, der eigentümlichen Indianerin Catherine, in ein verstecktes Baumhaus mitten im Wald. Die kleinbürgerliche Welt, die ein solches Aussteigerverhalten nicht akzeptieren kann, macht alsbald Jagd auf die Geflüchteten. Ein skurriles Waldabenteuer beginnt, das am Ende niemanden dort lässt, wo er vorher gewesen ist ...

So etwas habe ich noch nie gelesen. Capote benutzt kraftvolle, kreative Metaphern; manche Schilderungen sind so angefüllt davon, dass es ein Wunder ist, dass sie nicht platzen; manches muss ich zweimal lesen, um es wirklich vor mir zu sehen, aber dann ist es klar und bunt und poetisch und ausdrucksstark. Er durchbricht den spannenden Handlungsverlauf gerne mit solchen expressionistischen Farbexplosionen. Das muss man mögen, aber es ist unausweichlicher Bestandteil von Capotes einmaligem Erzählstil, ganz als würde er seine Geschichte malen. Das ist Poesie, Klang, Farbe, alles auf einmal.

Das Gurren einer Ringeltaube schwankte zwischen den langen, letzten Strahlenlanzen der Sonne. Frostgrüne und blaue Töne durchsickerten die Luft, als ob ein Regenbogen um uns zerschmölze.

Vollendet auch der Abschluss. Ohne Hass, ohne Rache, melancholisch, aber wunderschön.

Es ist ein sehr feines Buch über charakterliches Reifen und den Mut, selbstbestimmt zu handeln. Ich habe es sehr gerne gelesen.