Rezension

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Aufwühlender Liebesroman...

Bereit zu fliegen - Nina Miller

Bereit zu fliegen
von Nina Miller

Aufwühlender Liebesroman...

Auf den Liebesroman „Bereit zu fliegen“ von Nina Miller, einer deutschen Autorin, bin ich das erste Mal in den sozialen Medien aufmerksam geworden. Vielmehr war es das Cover, das mich sofort ansprach. Es zeigt die Golden Gate Bridge vor einem wunderschönen Sonnenaufgang. Der Titel „Bereit zu fliegen“ ist dunkel abgehoben und schräg ins Bild gebracht, so dass es wirkt, als hebe die Schrift ab. Es passt einfach perfekt zu dieser Geschichte, die in San Francisco spielt.

„Bereit zu fliegen“ ist Nina Millers Debütroman, der im September 2018 im Selfpublishing erschien:

Leona will in 25 Tagen ihren Tyler heiraten, der ihr ein sorgenfreies Leben ermöglicht. Doch kurz vor dem Hochzeitstermin stellt sie immer deutlicher fest, dass Tyler nicht mehr der ist, der er mal war. Sie fragt sich, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hat… und dann lernt sie auch noch Lucas kennen, der völlig anders ist als ihr Verlobter und ihr zu geben scheint, wonach sie sich unbewusst sehnt. Eine Zeit der inneren Zerrissenheit liegt vor ihr, die geprägt ist vom Konflikt, sich auf etwas Neues einzulassen und dem Ruf des Herzens zu folgen oder das gewohnte, sichere Leben beizubehalten, um niemanden zu verletzen.

Mit dem Buch war ich ziemlich schnell durch, das mich am Ende glücklich, aber auch aufgewühlt zurücklässt.

Leona ist eine junge, selbstbewusste Frau, der es scheinbar an nichts fehlt. Trotzdem legt sie großen Wert darauf, ihr eigenes Geld zu verdienen und sich damit ein Stück Unabhängigkeit zu bewahren. Für Tyler, Leonas Verlobten, ist es schwer, damit umzugehen, denn sie arbeitet in einem Stripclub und er sorgt sich um den Ruf seines Geschäfts, wenn seine Geschäftspartner von ihrer Tätigkeit erfahren. Das ist Leona jedoch egal und sie behauptet ihren Standpunkt bzw. setzt sich durch.

Tyler ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, der kaum noch Zeit für seine Verlobte hat. Jede freie Minute schenkt er dem weiteren Ausbau seiner Firma oder aber den Kumpels. Und um noch erfolgreicher zu werden, nimmt er alles in Kauf. Von Leona erwartet er zu jeder Zeit Verständnis für seine Situation und auch Dankbarkeit, denn er ist es, der ihr dieses luxuriöse Leben ermöglicht. Gehorcht Leona nicht, wird Tyler aufbrausend und schüchtert seine Verlobte ein.

Dann lernt sie Lucas kennen, der kaum etwas mit Tyler gemein hat. Er bemüht sich um Leona und lässt Gefühle in ihr aufwallen, die sie schon nicht mehr für möglich gehalten hat. Mit Lucas fühlt sich Leona wieder lebendig und frei.

Die Protagonisten haben mir insgesamt gut gefallen, d.h. sie waren in ihrer Rolle gut entwickelt und zumindest Leona und Lucas waren mir sympathisch.

Um Leona tut es mir ein bisschen Leid. Ich mochte sie sehr und habe mit ihr mitgefiebert und mitgelitten. Aber gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig, emanzipierte, selbstbewusste Frauen zu zeigen, die sich nicht einschüchtern lassen. Doch sie ist gefangen in einer Spirale häuslicher Gewalt, der sie nicht entkommt. Immer wieder sucht sie Entschuldigungen für Tylers Verhalten, selbst nachdem ihr jemand anderes deutlich macht, dass sein Verhalten nicht normal ist. Als sie dann nach dem letzten Vorfall, der aus meiner Sicht wirklich krass war, wieder nach Hause geht, war ich total schockiert.

Bei Tyler war ich anfänglich etwas irritiert. Beschrieben im Klappentext wurde er als charismatischer Verlobter und tougher Geschäftsmann. Für mich ist Tyler aber einfach nur ein Ekel. Auch wenn man im Laufe der Geschichte erfährt, warum er oft so aggressiv ist, kann das natürlich keine Entschuldigung für sein gezeigtes Verhalten sein. Er ist herrisch, besitzergreifend und übergriffig. Man fragt sich mit der Zeit, was Leona an ihm findet, auch wenn er früher mal anders gewesen sein soll. Bei ihm hätte ich mir etwas mehr Tiefe und Facetten gewünscht.

Lucas ist der Retter in der Not. Er ist auf seine Art sympathisch, aber mir persönlich auch ein wenig übergriffig und aufdringlich. Er tritt Leona gegenüber sehr belehrend, aber auch drängend auf. In Anbetracht seines Berufes passt das nicht ganz, denn es sollte immer eine Entscheidung der betroffenen Person sein, die diese allein trifft und zu der sie in keiner Weise gedrängt wird.

Die drei Protagonisten fand ich insgesamt authentisch, auch wenn nicht alle Handlungen nachvollziehbar waren. (SPOILER: Wenn eine Frau nachts wegen eines sexuellen Übergriffs ihres Partners flieht und die Nacht bei einem anderen Mann verbringt, fällt es mir schwer nachzuvollziehen, dass sie am nächsten Morgen einfach so wieder nach Hause geht und weil er noch schläft, so tun will, als ob sie nicht weg war.)

Die Handlung des Buches gefällt mir sehr. Nina Miller baut über das gesamte Buch eine enorm emotionale Spannung auf, die auch nicht abreißt. Immer wieder wird man in das Buch hineingezogen, weil man wissen will, wie es Leona am Ende ergeht.

Aber wie liest sich das Buch nun?

Es sind 13 Kapitel, die durchweg locker und flüssig in der Ich - Form geschrieben sind, jedoch fiel mir der Einstieg ein wenig schwer, weil ich keine Bindung zu Leona aufbauen konnte. Das blieb im ersten Drittel des Buches auch so. Das zweite Drittel gefiel mir schon deutlich besser und Leona und ich näherten uns an, aber das letzte Drittel war wirklich großartig und hat mich berührt.

Besonders gelungen fand ich dabei die emotionalen Beschreibungen, durch die mir Leona und Lucas immer mehr ans Herz gewachsen sind.

Mein Fazit nach 330 Seiten (im eBook):

„Bereit zu fliegen“ ist ein sehr gefühlvoller Liebesroman, der wirklich schwierige Thema, wie häusliche Gewalt, Drogenkonsum und Alkoholkonsum aufgreift und zeigt, wie diese Dinge eine Beziehung belasten. Nina Miller gewährt dem Leser/der Leserin durch die Figur Leona einen Einblick in die Situation von Gewalt betroffenen Frauen, d.h. welche zwiegespaltenen Gefühle jemand in dieser Spirale hat, einerseits der Glaube an die (frühere) Liebe, das Gute in einem Menschen und andererseits immer wieder Enttäuschungen, Demütigungen und Hilflosigkeit.

Es ist eine sehr berührende, aber auch aufwühlende Geschichte, die mich häufig nachdenklich gestimmt, aber auch wütend gemacht hat. Von der Protagonistin hätte ich mir im Laufe der Entwicklung mehr Klarheit gegenüber Tyler gewünscht, d.h. dass sie ihrem Verlobten schneller und deutlicher Grenzen setzt und ihm mögliche Konsequenzen seines gewalttätigen Verhaltens aufzeigt.

Wer nicht nur einen gefühlvollen Liebesroman sucht, sondern diesen in einem Setting schwieriger Themen lesen möchte, der sollte diesem Buch eine Chance geben.

Von mir erhält das Buch eine klare Kaufempfehlung, denn Leonas ausweglose Situation ist sehr realistisch dargestellt und man kann sich gut in sie hineinfühlen. Tatsächlich geht es einem Großteil von Frauen so, die zu Hause Gewalt erfahren. In der Regel schafft eine von Gewalt betroffene Frau erst beim siebten Anlauf die endgültige Trennung vom gewalttätigen Partner.

Aber es dreht sich natürlich nicht nur alles um dieses Thema. Auch die Liebesgeschichte zwischen Leona und Lucas ist wunderschön und wirklich lesenswert.

Vielen Dank an Nina Miller für diese Geschichte.