Rezension

Auge um Auge...

Der Menschenräuber
von Sabine Thiesler

Bewertet mit 5 Sternen

Die junge emporstrebende Kunststudentin Giselle wird durch einen Unfall aus ihrem Leben gerissen. Der Unfallverursacher, ein Abiturient, kommt trotz Trunkenheit am Steuer glimpflich davon, da sein Vater über Beziehungen verfügt. Dieses reißt Giselles Vater Jonathan komplett den Boden unter den Füßen weg. Stück für Stück entgleitet ihm sein Leben fortan. Wegen seinen Depressionen lässt er seine Arbeit als erfolgreicher Fotograf schleifen und seine Ehe zerbricht auch an seinem Unvermögen zu trauern. Zuerst betrinkt er sich maßlos und landet dann immer tiefer in der Gosse.

Eines Tages im November fährt er mit seinem letzten Geld einfach los, ohne ein genaues Ziel. Es zieht ihn nach Italien. Bei einer Bauernfamilie in der Toskana, die eine heruntergewirtschaftete Pension betreibt, bekommt er ein Zimmer. Sofia, die blinde Tochter der Wirtsleute, bremst seine Rastlosigkeit sofort, erkennt er doch an ihr eine große äußere Ähnlichkeit zu Giselle.

Da er sich weiterhin vorwirft seine Tochter nicht genügend beschützt zu haben, möchte er dieses nun an Sofia wieder gut machen. Er heiratet sie und baut mit ihr gemeinsam das familiäre Gehöft zu einem schicken Feriendomizil um, welches nun auch wieder auf Gäste anziehend wirkt. Doch schon bald wird Jonathans trügerische innere Ruhe gestört, deutsche Urlauber haben sich in einem der neuen Apartments ein gemietet und seine Vergangenheit, der er entfliehen wollte, holt in schlagartig wieder ein. Eine Welle von Hass treibt ihn nun, mit der Kenntnis der Identität seiner Gäste, wieder an... sein einziger Gedanke ist Vergeltung ... Rache für sein Kind...

Der Zufall spielt in diesem Roman eine sehr große Rolle, möglicherweise eine zu gewichtige, darunter leidet auch die Glaubwürdigkeit etwas. Jonathans innere Zerrissenheit wird sehr gut portraitiert. Auch als Leser wird man emotional hin und her geworfen, einerseits fühlt man mit Jonathan und kann auch ein Stück weit seinen ohnmächtigen Hass nachvollziehen, andererseits verstört seine Brutalität aber auch. Auch seine Doppelgesichtigkeit fand ich erschreckend, wie er Sofia immer mehr dahin lenkt, die Ähnlichkeit zu Giselle weiter zu unterstreichen, verborgen unter einem Deckmantel der Fürsorglichkeit und des Zuspruchs. Da lief es mir manchmal eiskalt den Rücken herunter. Es ist das Psychogramm eines schwer getroffenen Menschen, einer Marionette seiner eigenen inneren Stimme. Sabine Thiesler ist auch dieses Mal ein wahrer Pageturner gelungen, man kann einfach nicht anders als Seite um Seite durch das Buch zu hetzen. Der Aufbau ist interessant, Rückblenden schärfen den Blick auf die einzelnen Charaktere, die Gegenwart schraubt die Spannung immer weiter hoch, und die unterschiedlichen Perspektiven fügen alles zu einem Ganzen zusammen. Auch Thieslers Affinität zur Toskana kommt in diesem Buch wieder zur Geltung, so ist auch hier die Handlung in Deutschland und in Italien angesiedelt.

Der Blick in die Abgründe, die Zorn, Trauer und Rachegelüste schaffen, verspricht ein spannendes Lesevergnügen.