Rezension

Augen öffnend und berührend

Wenn Sterne verstreut sind -

Wenn Sterne verstreut sind
von Victoria Jamieson

Bewertet mit 5 Sternen

Wir befinden uns in Dadaab. Einem riesigen Flüchtlingslager in Kenia. Dieses gigantische Lager ist größer als so manch deutsche Großstadt. Und mitten in diesem überfülltem Chaos mit hungernden, versehrten Menschen teilen sich Omar und sein kleiner Bruder ein Zelt. Schon seit sieben Jahren.

„Das Leben in einem Flüchtlingslager hat viele schlimme Seiten. Es gibt nur wenig Essen, also sind Hassan und ich immer hungrig. Und es ist heiss. Für mich ist das Schlimmste hier aber…dass es furchtbar langweilig ist. Jeder Tag ist praktisch gleich.“

Omar kümmert sich aufopfernd um seinen Bruder. Der nicht so ist, wie die anderen Kinder. Der spezielle Bedürfnisse hat. Manchmal von Krämpfen heimgesucht wird. Sensibler und ruhiger ist. Sehr ruhig sogar. Denn er sagt nur ein einziges Wort. Als Omar die Chance bekommt, zur Schule zu gehen, will er zunächst ablehnen. Schließlich muss er auf Hassan aufpassen. Doch er nimmt die Chance wahr und kämpft sich durch. Lernt Englisch. Und steht viele Jahre später auf der Liste. Der Liste, welche jeder im Lager voller Hoffnung im Auge behält. Der Liste, auf der die Menschen stehen, die ein Interview mit der UN führen dürfen. Um vielleicht nach Amerika, Kanada, Hauptsache-Irgendwohin umsiedeln dürfen.

„In einem Flüchtlingslager kann sich alles schnell ändern… und gleichzeitig gar nichts.“

Wie jedes Kind…

„Wenn Sterne verstreut sind“ ist eine absolut berührende, zu Herzen gehende Graphic Novel für Menschen ab neun Jahren. Wenn Omar in einfachen Sätzen seine Geschichte erzählt, muss man einfach zuhören.

Unglaublich erscheint es, dass zwei kleine Kinder ohne ihre Mutter fliehen müssen. Halb tot in einem Lager ankommen, so weit weg von zu Hause. Ein Junge viel zu früh Verantwortung übernehmen muss. Viel zu früh erwachsen wird. Und dennoch Wünsche hegt, wie jedes Kind. Seine Mutter vermisst. Albträume hat. Nach Hause will.

Dass diese Geschichte im Kern wahr ist, macht das Ganze noch so viel intensiver. Dass sie zumindest für Omar und seinen Bruder ein Happy End hat, noch unfassbarer. Es wirkt wie ein reales Märchen. Welches Hoffnung weckt und gleichzeitig mahnt, wie ungerecht es auf dieser Welt zugeht.

Auch ein feministisches Buch

Ich kam nicht ohne Tränen und dickem Kloß im Hals durch dieses Comic. Schon bevor Omar seine Erinnerungen an den Tag auspackt, an dem die Flucht der Brüder begann. Das Leben in Dadaab ist so unfassbar hart. Allein die Sorge um Wasser, um Essen, ums Überleben erscheint mir von Wohlstand verwöhnten Europäerin maßlos grausam. Umso mehr noch für ein Kind, dass mein großer Sohn sein könnte.

Nicht nur das Schicksal der Brüder nahm mich mit. Auch das ihrer Ziehmutter. Welches sich nur in Nebensätzen erahnen lässt. Durch die Worte eines Kindes, das lange nicht alles versteht. Wohl aber die Ungerechtigkeit, die die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen birgt. Die auch seine Mitschülerinnen grausam trifft.

Tatsächlich ist „Wenn Sterne verstreut sind“ auch ein feministisches Buch. Das den Finger in die Wunde der prekären Lage von Frauen legt. Zeigt, wie schwer es ist Frauenrechte durchzusetzen. Dabei versucht es nicht zu urteilen. Selbst beim schwierigen Thema der Zwangsheirat.

Die Graphic Novel schönt aber auch nichts. Zeigt die Grenzen des Möglichen, des Menschlichen. Im System der UN oder im Verhalten der Menschen im Lager. Durch Omars Kinderaugen zeigt sich das Leben, wie es ist. Oft unfair. Doch auch unverhofft gnädig und schön.