Rezension

Aus der Bubble in die Bubble.

Wo die Fremde beginnt -

Wo die Fremde beginnt
von Elisabeth Wellershaus

Bewertet mit 3 Sternen

Kurzmeinung: Biographische Notizen einer Journalistin.

Vorrede: Ich weiß nicht, was ich mir von diesem erlebnisberichtähnlichen Sachbuch erwartet habe, jedenfalls nicht, dass ich mich nach der Lektüre immer noch frage, was will mir die Autorin eigentlich sagen? Dass die Fremde vor der Haustür beginnt? Binse.

Aber von vorne: Die privilegierte, in einer Baugruppe in Berlin lebende Autorin, macht sich Gedanken über ihre Identität als schwarze Frau in Deutschland und in der ganzen Welt. In ihrer Kindheit in einem Vorort Hamburgs war sie oft das einzige schwarze Kind in einer Weißen Umgebung. Sie war nicht ausgegrenzt, fühlte sich aber so. Dabei passte sie ökonomisch ziemlich gut hinein. Sie hatte Freunde und die üblichen Probleme von Jugendlichen. Sie machte mit guten Noten Abitur und begann, sich einen Platz in der Welt zu erobern.
Dass man als Berufsanfänger nicht gleich ein geregeltes Supergehalt hat, ist ganz normal. Und dass man als Freischaffender prekäre Beschäftigungsverhältnisse erlebt, ist keine Ausnahme mehr in der deutschen/europäischen Gesellschaft, sondern die prekären Beschäftigungsverhältnisse werden unter Akademikern aller Art immer normaler. Der Autorin ist dies bewusst „selbst Bildung schützt nicht mehr vor Ausbeutung, Wohnunsicherheit und Randständigkeit.“ Sie spricht vom unbarmherzigen Stadtumfeld. Doch das alles hat nicht viel mit Hautfarbe oder Herkunft zu tun, sondern mit dem kapitalistischen System, mit alten Seilschaften und mit Vitamin B. Ich würde es ja verstehen, wenn man sich in einem unmenschlichen kapitalistischen System fremd fühlt, aber davon ist im Buch nur marginal die Rede. Wie auch, da die Autorin inzwischen ganz und gar dazugehört, zu diesem System. Entgegen ihrem Fremdheitsgefühl.

Thema. Nichtzugehörigkeit. Die Mär von der Zugehörigkeit. Nämlich die der anderen. Ist nichts anderes als ein Mythos. Schon die (alten) Dichter schreiben von der Fremdheit in der Welt. „Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen, die von nichts wissen, wachsen auf und sterben, und alle Menschen gehen ihrer Wege“, Hugo von Hofmannsthal. „Du siehst, wohin du siehst nur Eitelkeit auf Erden. Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein“, Andreas von Gryphius, „Ach, wen vermögen wir denn zu brauchen, Engel nicht, Menschen nicht, und die findigen Tieren merken es schon, dass wir nicht sehr verlässlich zu Haus sind in der gedeuteten Welt.“ Rainer Maria Rilke. Alles alte weiße Männer? So what?
Was ich damit sagen will, die Gegenwart war immer schon fragil. Schauen wir uns den Dreißigjährigen Krieg an, da schlackert man mit den Ohren! Und das Fremde beginnt in dir und ist nichts anderes als die Begegnung mit dem Leben. Was soll heute so grundlegend anders sein? Zum Glück fällt der Autorin diese Tatsache manchmal ein, „Sind wir uns einander und uns selbst nicht alle fremd?“ um sie alsbald wieder zu „vergessen“.
Wenn Elisabeth Wellershaus von ihrer persönlichen Biographie spricht, folge ich ihr gerne. So ungewöhnlich finde ich ihre Herkunft jedoch gar nicht.

Vom Hamburger Vorort ihrer Jugend sagt sie folgendes: „Man sieht es den akkurat geschnittenen Hecken immer noch an, wie sehr sich hier manche an der gesellschaftlichen Etikette festhalten. Die roten Klinker grüßen rechts und links – vertraut, aber auf höfliche Distanz bedacht. Aus manchen Häusern weht mir noch leise Abwehr entgegen. Eine Erinnerung an Tage, in denen meine Anwesenheit vor allem diejenigen störte, die sich um ihre Zughörigkeit zur Volksdorfer Bourgeoisie sorgten.“ Solche Worte klingen hübsch, literarisch, poetisch gar, aber: woran macht sie das fest? Leider erzählt sie das nicht.
Von höflicher Distanz (als Vorwurf) spricht ausgerechnet diejenige, die sich in Berlin hinter einem dicken Tor verschanzt, denn man braucht einen extra Schlüssel, um überhaupt Zugang zu den Grundstücken ihrer Baugruppe zu bekommen. Diese Baugruppen erinnern mich unwillkürlich an die mit Stacheldraht versehenen Grundstücke in Südafrika. „Die Kluft zwischen Arm und Reich ist riesig in Südafrika und die Kriminalitätsrate hoch. Wer es sich leisten kann, schottet sich ab, lebt hinter Zäunen mit Wachdienst. Das sind vor allem Weiße. Ihre Angestellten sind schwarz und kommen aus den Townships.“ Leonie March/ 31.01.2019/DLF.

Die Ausgangskonstellation von der aus mir Elisabeth Wellershaus von ihrer Fremdheit erzählen möchte, ist hinter ihren dicken Mauern lebend also denkbar ungünstig. Aber dann, wenn ich das Buch schon weglegen möchte, kommt sie sich selbst auf die Schliche und erkennt, dass nicht das Außen sie abtrennt vom Rest der Welt, sondern sie selbst sich zurückzieht und Abwehrmechanismen entwickelte. Von nun an setzt sie sich noch bewusster mit ihrer Familiengeschichte auseinander als früher. Um immer wieder aber auch zurückzufallen in frühere Denkmuster, die anderen sind schuld: „eine Gesellschaft, die meine Zugehörigkeit konsequent in Frage stellt.“ Wahrscheinlich nicht mehr als bei vielen anderen. Sobald man seine Bubble verlässt, wird man fremd, verletzlich und angreifbar. Wieder nur eine Binsenwahrheit.
Aber Wellershaus ist nicht nur Privatperson, sie ist auch Journalistin. Sie spürt der Fremdheit in Deutschland in sieben Kapiteln nach, die lauten: Überall, Nachbarschaften, Stadt, Arbeit, Freundschaft, Familie, Passing. Dass das Private die berufliche Betrachtung durchdringt ist sympathisch. Aber trotzdem versperrt ihr der Blickwinkel aus ihrer Bubble manchmal die Binsen-Wahrheit zu erkennen, zum Beispiel diejenige, dass Freundschaft immer ein schwieriges Kapitel ist und je weniger Gemeinsamkeiten vorhanden, desto schwieriger ihre Aufrechterhaltung; etc. etc. und will die Binsenwahrheit zur Besonderheit erheben, wenn man schwarz ist.
Subjektive Betrachtungsweise ist subjektiv und muss stehen gelassen werden, also auch die von Elisabeth Wellershaus, kann aber eben auch nicht als allgemeingültige Erkenntnis betrachtet werden. Was mich an dem biographisch durchdrungenen Buch jedoch wirklich stört, ist die elitäre Sprache. Trotz der vielfach beklagten Exklusionsgesellschaft Deutschlands „wir leben in einem ausgefeilten System der Exklusion“, eröffnet die Autorin mit ihrem Fachjargon aus Soziologie und anderen Gesellschaftswissenschaften gerade keinen leicht zugänglichen Denkraum. Sie bleibt sprachlich in ihrer Bubble, dem Umfeld, das sie beruflich gewohnt ist. Spricht sie aus der Bubble in die Bubble?

Das Leseerlebnis: Ich bin der Autorin gerne durch ihre Biographie gefolgt, die jedoch manchmal nicht mehr hergibt als Überschriften und Belege für Behauptungen durchaus schuldig bleibt. Das ist legitim, jeder gibt nur so viel von sich preis, wie er möchte. Aber Überschriften schürfen eben nicht in der Tiefe. Elisabeth Wellershaus zitiert häufig aus diversen Büchern von diversen Autoren, aber auch diese Zitate reißen höchstens etwas an, geben einen Hinweis, erklären aber nichts. Wellershaus erklärt keinen der Fachbegriffe, die sie verwendet und geht davon aus, dass jeder weiß, was man darunter zu verstehen hat. Wenn das kein Bubbledenken ist, dann weiß ich nicht. Über Fremdheit habe ich gelernt, dass sie oft im Kopf des Fremdelnden existiert, aber nicht unbedingt real sein muss. Oder, dass Fremdsein normal ist, weil wir alle es erleben, in mehr oder weniger großem Ausmaß. Das Buch hat einen anklagenden Unterton, den ich aber nicht richtig zu fassen bekomme. Dominanzkultur? Ist einfach die Kultur der Mehrheit. Und das Gewicht der Mehrheit, das ist Demokratie.

Fazit: Ich habe dieses Buch nicht ungern gelesen, weil es auch ein persönliches Berichten ist. Die Mischung aus Privatem und dem Versuch einer allgemeinen Betrachtung ist durchaus reizvoll. Doch man fragt sich, für wen Wellershaus dieses Buch gemacht hat, eine Erzählung aus der Bubble für die Bubble?

Kategorie: Erzählendes Sachbuch.
Nominiert für den Deutschen Sachbuchpreis 2023
Verlag: C.H. Beck, 2023