Rezension

Ausgeliefert

Die Flutwelle - Mikael Niemi

Die Flutwelle
von Mikael Niemi

„Populärmusik aus Vittula“ sowie „Der Mann, der starb wie ein Lachs“ sind die beiden Romane, mit denen der schwedische Schriftsteller Mikael Niemi auch hierzulande bekannt wurde. Sein neuester Roman „Die Flutwelle“ beschäftigt sich mit dem Verhalten von Menschen in einer Extremsituation, in der sie dem Schicksal – in diesem Fall allerdings eher einer Naturkatastrophe – hilflos ausgeliefert sind.

Handlungsort ist der schwedische Norden, wo es seit Wochen wie aus Kübeln regnet. Die Erde ist komplett durchweicht, und auch der oberste Staudamm des Luleälven zeigt bereits gefährliche Risse. Lange wird er den Wassermassen nicht mehr standhalten können, und wenn dieser Damm bricht, wird das einen Domino-Effekt nach sich ziehen und sich eine Flutwelle biblischen Ausmaßes über das Land ergieße, die alles Leben vernichten.

Am Beispiel einer Personengruppe zeigt der Autor auf, wie sich die unterschiedlichsten Menschen in dieser für alle gleichen, lebensbedrohlichen Situation verhalten: ein Hubschrauberpilot, der seinen Selbstmord plant, seine Frau, die sich scheiden lassen will, deren schwangere Tochter, die den Vater von seinem Vorhaben abbringen möchte, die Leiterin eines Kunstkurses, die in den strömenden Fluten ein inspirierendes Motiv sieht, die Beschäftigten von Vattenfall, der Betreiberfirma,  die felsenfest davon überzeugt ist, dass der Damm hält und ein gebürtiger Same, den es nach London verschlagen hat und der in der Einsamkeit der nordschwedischen Wälder die Hektik der Großstadt hinter sich lassen möchte.

Das Beste und das Schlechteste kommen bei ihnen zum Vorschein, Fürsorge und Brutalität. Während die einen sich fatalistisch ihrem Schicksal ergeben, beginnen die anderen zu kämpfen. Manch einer wird zum absoluten Egoisten, für den nur das eigene Überleben zählt, andere tragen dafür Sorge, dass alle gleichermaßen eine Überlebenschance haben.

Niemi schreibt verhalten und immer mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl. Ihm kommt es nicht auf billige Effekte an, und gerade deshalb geht dem Leser das Schicksal der Protagonisten sehr nahe. Je stärker sich die Situation zuspitzt, je auswegloser der Kampf gegen die entfesselte Natur wird, desto mehr wünscht man sich das Überleben aller.

Ein starkes Buch, höchst dramatisch und beeindruckend und über weite Strecken spannender als mancher Krimi!