Rezension

außerordentlich sachlich, ohne jede Polemik, sehr gut!

Knastfrauen - Tilmann Schäfer

Knastfrauen
von Tilmann Schäfer

Bewertet mit 5 Sternen

Wer glaubt, dass sich hinter den zum Teil provokanten Überschriften im Buch „Knastfrauen“ von Tilmann Schäfer polemische, sich über die Gefangen lustig machende Sprüche und Geschichten verbergen, wird angenehm enttäuscht sein. Der Autor unterlässt jegliche Anspielungen und negative Äußerungen in Bezug auf die Frauen und Jugendlichen im Knast. So, wie er versucht, auf der rein sachlichen Ebene den Alltag und die Besonderheiten im Frauengefängnis zu erläutern, so wenig vergisst er auch, immer wieder auf die Opfer der Straftaten hinzuweisen. Auch auf den schwierigen Job, den die Beamten und Angestellten in der Justizvollzugsanstalt nachgehen, geht er durch seine Schilderungen entsprechend ein und würdigt deren Sachverstand und die zum Teil heftigen Gradwanderungen bei den durch sie zu verantwortenden Entscheidungen.
Durch diese grundsolide Sichtweise auf den hier geschilderten Personenkreis kann man durchaus sagen, dass, wer auf abfällige, sexistische oder belustigende Polemik hinschielt, hier absolut an die falsche Veröffentlichung geraten ist. Auch auf einen Gruselfaktor wartet man vergeblich, sobald der Autor auf die von den Frauen begangenen Straftaten eingeht. Eher bekommt man Einblicke, wie es dazu führen kann, dass Opfer zu Täterinnen werden können. Und das zu jeglichen denkbaren Möglichkeiten der Kriminalität. Nicht nur Männer sind so, nein, auch Frauen sind zu allem fähig. Nur anders.
Um der Leserschaft einen Einblick zu geben, wie es im Knast so zugeht, gibt der Autor in dreiunddreißig Abschnitten vom Eintritt bis zum möglichen Gang in die Freiheit Geschichten rund um seinen Arbeitsalltag als Arbeitstherapeut zum Besten. Was er dort zu sehen und zu hören bekommen hat, welche Möglichkeiten ihm gegeben waren aber auch rund um technische und praktische Begebenheiten. Wie viel Geld den Gefangenen zusteht und nach welchen Regeln, wie auch die Möglichkeiten und Pflichten zu Arbeit und/oder Ausbildung. Was er alles zu hören bekommt, wenn er als einer der wenigen Männer ohne Uniform in einem Frauenknast arbeitet. Und natürlich seine Arbeit als solches, welche Frauen zu ihm kamen, wie und ob sie sich ihm und seinen Therapiemöglichkeiten geöffnet haben. Zum Beispiel dem therapeutischen putzen. Uns ist meist gar nicht bewusst, unter welchen Umständen zum Beispiel die jungen Frauen vor dem Gefängnis gelebt haben, dass sie Reinigungsmittel, Spültücher und Hygienevorschriften überhaupt nicht kennen. Für diese es ein Buch mit sieben Siegeln ist, wenn von ihnen verlangt wird, ihre eigene Zelle zu reinigen und, wenn es nicht ausreichend ist, ihnen vom Allgemeinen Vollzugsdienst die „Bude“ ausgeräumt wird, um alles nochmal zu machen. Oder zum ersten Mal mit Farben und Formen in Berührung kommen. Für den Autor war es vor allem wichtig, die ihm zugeführten Gefangenen Lebensfähig zu machen, damit sie im Anschluss überhaupt in der Lage waren, eine Arbeit oder Ausbildung/Kurse nachzukommen.
Aber er erzählt auch von Trauer, Wut, Einsamkeit und Hilflosigkeit gerade bei der Jugend, wenn keinerlei Freunde oder nahe Verwandte sich melden. Welche Ängste die besonders gesicherten Zellbereiche hervorrufen, in die sie bei gewisser Problematik verlegt werden. Von den ersten Tagen im Knast, der gerade bei sehr jungen Insassinnen Panik, Schock und absolutes Ausgeliefertsein auslöst. Und auch das Gegenteil, das Frauen aufatmen, aus einer Situation regelrecht befreit wurden, sich endlich sicher fühlen konnten. Wie bereits angedeutet, Opfer werden zu Täterinnen, die gleichzeitig Opfer sein können, ohne einen Ausweg zu finden. Das, so beschreibt es Schäfer, ist ebenfalls eine Aufgabe der Bediensteten jeglicher Couleur, ihnen aufzuzeigen, dass es diese sehr wohl gibt.
Wenn dann der Weg nach einer bestimmten Zeit in die Freiheit führt, greifen viele Räder ineinander, die der Gefangenen Möglichkeiten aufzeigen. Der Autor verweist in einem Abschnitt auf Statistiken und weiterführenden Daten, die Sozialprognosen angeben, ob es für die Frauen eine einmalige Angelegenheit war, oder ob sie wiederkommt.
Das Schriftbild auf dem Cover spiegelt sich in sämtlichen Kapitelüberschriften, die wiederum griffig und stimmig zum Inhalt sind. Schreibfehler gibt es selbstverständlich auch, sind aber angenehm wenige. Der Schreibstil und die relativ knappen Abschnitte sind perfekt, um es in Bus und Bahn zu lesen, wobei jedes davon einen eigenen Einstieg in das zu behandelnde Thema hat.