Rezension

Authentisch, ehrlich, feministisch, aber auch langatmig – konnte mich leider emotional nicht erreichen!

Superbusen
von Paula Irmschler

~ „Superbusen“ ist ein authentischer, ehrlicher und feministischer Roman, der aber leider auch sehr langatmig ist und mich weder fesseln noch emotional erreichen konnte. Gefallen haben mir der flüssige, lockere Schreibstil, die tiefgründige Verarbeitung von Themen wie Selbstfindung, Freundschaft, Studium, Depression und Rassismus, der Humor, die treffenden Beobachtungen, die erfolglose, aber sehr sympathische Protagonistin und die gelungenen Beschreibungen der Schauplätze. Einer feministischen Analyse hält „Superbusen“ zudem problemlos stand. Nicht überzeugen konnten mich die blassen Nebenfiguren, die fehlende Spannung, der schwierige Einstieg ins Buch und die Tatsache, dass ich mit dem Debüt einfach nicht warm geworden bin. Kurz: Eine klare Leseempfehlung gibt es von mir dieses Mal nicht – „Superbusen“ ist für mich ein Roman, den man lesen kann, den man aber nicht unbedingt gelesen haben muss. ~

Inhalt

In Paula Irmschlers Debüt „Superbusen“ geht es um Selbstfindung, Erwachsenwerden, Frauenfreundschaften, Musik, das WG-Leben – und um eine erfolglose Studentin und ihre Erlebnisse in Chemnitz.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz
Tiere im Buch:  + Es wird Fleisch gegessen und der Tod von Tieren wird erwähnt. Es werden keine Tiere verletzt oder gequält.
Triggerwarnung: Depression, Alkohol, Drogen, Sexismus, Rassismus, Rechtsextremismus;

Warum dieses Buch?

Die positiven Besprechungen im Feuilleton und das Thema „Chemnitz“ (über diese Stadt hört man ja nicht viel Gutes) haben mich neugierig gemacht!

Meine Meinung

Einstieg (1 Lilie)

Schon lange ist mir der Einstieg in eine Geschichte nicht mehr so schwergefallen wie bei diesem Roman. Es dauerte viele Kapitel, bis sich überhaupt einmal ein gewisser Lesefluss einstellen wollte – und so richtig ins Buch gefunden habe ich bis zum Schluss nicht.

Schreibstil (3 Lilien)

„Als Kind spielte ich mit meinen Geschwistern „Der Boden ist Lava“, wobei man sich aufs Bett retten musste – mit Paul und über 20 Jahre später war nun das Bett selbst die gefährliche Zone.“ E-Book, Position 109

An sich hat Paula Irmschler einen einfachen, flüssig lesbaren, lockeren und oft mündlich geprägten Schreibstil, an dem es (bis auf den einen oder anderen etwas holprig klingenden Satz) nicht viel auszusetzen gibt. Leider konnte sie mich mit ihrer Art zu schreiben nicht fesseln – ich empfand ihren Erzählstil leider als sehr langatmig.

Idee, Inhalt, Themen & Ende (3 Lilien)

„Auf dem Chemnitzer Sonnenberg kann man sich quasi Paläste leisten, es steht genug leer, man muss nur vorgeben, sich mit den im Viertel vorherrschenden Nazis arrangieren zu können, und abends aufpassen. Aber das ist hier normal.“ E-Book, Position 449

„Superbusen“ ist ein Roman mit autobiographischen Einflüssen über das Erwachsenwerden, die Unsicherheit in den Zwanzigern und die Stadt Chemnitz, die ihren extrem schlechten Ruf nicht verdient, sondern durchaus auch schöne Seiten zu bieten hat. Thematisch stehen das Leben als Studierende_r, als WG-Mitbewohner_in und als Mitglied einer Band, Liebe und  Freundschaft, aber auch ernste Themenbereiche wie Depression, Stagnation, finanzielle Not (und ausbeuterische Jobs), Rassismus und Sexismus im Mittelpunkt. Beschreibungen der rechtsextremen Szene in Chemnitz und Giselas Teilnahme an linken Gegendemonstrationen nehmen ebenfalls einen großen Teil des Buches ein – die Schilderungen von gefährlichen Heimwegen und der Angst vor den Neonazis sind beklemmend und erschreckend. Ihre Themen behandelt die Autorin mit angemessener Tiefe. Ich liebe die treffenden Beobachtungen und Beschreibungen des Studienalltages! Zudem fand ich die gesellschaftskritischen und gleichzeitig lustigen Songtexte der Band großartig! Trotzdem ließen mich Irmschers Schilderungen (bis auf eine sehr berührende Szene gegen Ende) auf seltsame Weise kalt, der Roman konnte mich leider emotional nicht erreichen.

Das Buch wird oft als humorvoller Pop-Roman beschrieben – und tatsächlich gibt es einige Referenzen zur Popkultur (z. B. Britney Spears). Allerdings fand ich die lustigen Szenen eher sparsam gesät und das Buch stellenweise sehr deprimierend. Gisela scheitert immer wieder, kann sich nicht aufraffen, nicht entscheiden, ist unglücklich, wirkt wie gelähmt. Aus diesem Grund sollten Menschen mit depressiven Verstimmungen meiner Meinung nach eher nicht zu diesem Buch greifen, da es einen beim Lesen doch sehr runterzieht – zumindest habe ich das so empfunden. Das Ende ist meiner Meinung nach gut gelungen – auch wenn es mir nicht lange in Erinnerung bleiben wird.

Das gleiche Problem, das ich schon mit Saša Stanišićs „Herkunft“ hatte, habe ich auch mit „Superbusen“. Man merkt dem Buch seine autobiographischen Einflüsse an, und die eigene Lebensgeschichte ist natürlich immer interessant, leider gelingt es Paula Irmschler aber nicht, ihre Geschichte so aufs Papier zu bringen, dass auch ich (als fremde Person) sie spannend finde. Ich wurde leider nicht so richtig mit dem Buch warm. 

Protagonistin & Figuren (4 Lilien & 2 Lilien)

„Ich ging auf die Realschule, weil da meine Geschwister waren, und dort fand ein schneller Wechsel von Miteinanderspielen zu Miteinandersaufen und Miteinandergehen statt.“ E-Book, Position 634

Mir war Gisela, eine erfolglose, unentschlossene Studentin der Politikwissenschaften, von Beginn an sympathisch. Besonders gefallen hat mir an ihr ihre gnadenlose Ehrlichkeit, wenn es um eigene Schwächen geht. Das fand ich sehr erfrischend! Anstatt sich zu rechtfertigen, steht sie z. B. einfach zu ihrer Faulheit. Mir hat auch gefallen, dass sie sich verletzlich zeigt und offen über ihr geringes Selbstbewusstsein, ihre psychischen Probleme und Fatshaming spricht. Auch ich habe manchmal Selbstzweifel und fühle mich wie eine „Loserin“, diese Lektüre hat mir jedoch gezeigt, dass ich mein Studium (trotz meiner Neigung zum Prokrastinieren) eigentlich bisher ganz gut hinter mich gebracht habe. Ich war beim Lesen oft einfach nur dankbar, dass ich nicht an ihrer Stelle bin. Stellenweise tat sie mir echt leid und ich wollte sie einfach nur in den Arm nehmen – hinter ihrer (an der Oberfläche) oft unbekümmerten Art verbirgt sich nämlich eine große Traurigkeit.

Die anderen Figuren blieben leider zum Teil sehr blass, was ich schade fand. Da ich das Buch nur häppchenweise lesen konnte, habe ich teilweise sogar Charaktere miteinander verwechselt. Durch die nicht wirklich gelungene Figurenzeichnung konnte ich leider nicht so intensiv mit ihnen mitfühlen, wie ich mir das erhofft habe. Giselas Freund_innen blieben mir leider bis zum Schluss fremd, ihr Schicksal war mir egal.

Spannung (1 Lilie) & Atmosphäre (4 Lilien)

Die größte Schwäche des Debütromans ist meiner Meinung nach der Mangel an Spannung. Ich empfand die Geschichte als unglaublich zäh und langatmig, sodass ich mich leider durchgequält und immer wieder mit dem Gedanken gespielt habe, das Buch abzubrechen. Aufgrund der positiven Rezensionen im Feuilleton und weil ich Angst hatte, etwas Wichtiges zu verpassen, hielt ich dann doch irgendwie bis zum Schluss durch – gerade so.

Die Atmosphäre im Buch – die Beschreibungen von Chemnitz, des WG-Lebens, des Studierens – haben mir hingegen wirklich gut gefallen! Schnell werden die verschiedenen Schauplätze so vor dem inneren Auge lebendig.

Feministischer Blickwinkel (5 Lilien ♥)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schlam++, Fo+++

Einer feministischen Analyse hält „Superbusen“ problemlos stand. Das Buch besteht den Bechdel-Test, ist eine Ode an Frauenfreundschaften, spricht unaufgeregt und feministisch über Abtreibung, Sexismus, Victim Blaming und Belästigung. Die beiden Beispiele für gegenderte Beleidigungen (Schlam++, Fo+++) unterstreichen die wichtige Botschaft. Natürlich bekommt der Roman bei diesem Unterpunkt absolut verdient alle Punkte!

Mein Fazit

„Superbusen“ ist ein authentischer, ehrlicher und feministischer Roman, der aber leider auch sehr langatmig ist und mich weder fesseln noch emotional erreichen konnte. Gefallen haben mir der flüssige, lockere Schreibstil, die tiefgründige Verarbeitung von Themen wie Selbstfindung, Freundschaft, Studium, Depression und Rassismus, der Humor, die treffenden Beobachtungen, die erfolglose, aber sehr sympathische Protagonistin und die gelungenen Beschreibungen der Schauplätze. Einer feministischen Analyse hält „Superbusen“ zudem problemlos stand. Nicht überzeugen konnten mich die blassen Nebenfiguren, die fehlende Spannung, der schwierige Einstieg ins Buch und die Tatsache, dass ich mit dem Debüt einfach nicht warm geworden bin. Kurz: Eine klare Leseempfehlung gibt es von mir dieses Mal nicht – „Superbusen“ ist für mich ein Roman, den man lesen kann, den man aber nicht unbedingt gelesen haben muss.

Bewertung

Idee: 4 Lilien
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Worldbuilding: 4 Lilien
Einstieg: 1 Lilie
Ende / Auflösung: 3 Lilien
Schreibstil: 3 Lilien
Protagonistin: 4 Lilien
Figuren: 2 Lilien
Spannung: 1 Lilie
Atmosphäre: 4 Lilien
Emotionale Involviertheit: 3 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥

Insgesamt:

❀❀❀  Lilien

Dieses Buch bekommt von mir drei Lilien!