Rezension

Authentische Geschichte einer ungewollten Selbstfindung

Vergissdeinnicht - Cat Clarke

Vergissdeinnicht
von Cat Clarke

Handlung:
Grace wacht in einem Raum auf, den sie nicht kennt. Darin: ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl. Alles ist weiß - die Wände, die Möbel, die Bettwäsche, die Kleidung, die sie trägt. Ein schweigsamer junger Mann namens Ethan bringt ihr regelmäßig Nahrung. Anscheinend hat er sie entführt, aber warum? Was will er von ihr? Auf ihre Fragen antwortet er nur, dass die Dinge so sein müssen, wie sie sind. Die einzige Beschäftigung bieten der Stapel Papier und die Stifte auf dem Tisch, und so beginnt Grace, ihre Erinnerungen aufzuschreiben.

Die innige Freundschaft zu ihrer besten Freundin Sal, und die Ereignisse, die sie entzweit haben. Ihre erste wahre Liebe, Nat, nach einer langen Prozession bedeutungsloser Bettgeschichten. Die problematische Beziehung zu ihrer Mutter, die sie im Stich gelassen hat, als Grace sie am meisten brauchte. Graces selbstzerstörerisches Verhalten: Alkohol, ungeschützter Sex, Selbstverletzung... Die Nacht, in der sie sich umbringen wollte.

Graces Gefangenschaft wird für sie zu einer Reise in die eigene Seele.

Pro:
Der Klappentext erweckt den Eindruck, es würde sich hier um einen Thriller handeln - tut es aber nicht! Die Entführung steht nicht im Mittelpunkt der Geschichte (und wird im Laufe des Buches immer unwichtiger), es geht viel mehr um Graces Aufarbeitung ihrer Vergangenheit, ihre Selbstfindung, ihre Ängste, Hoffungen und Träume. Dies ist sicher nicht das einzige Buch, das sich mit Teenagern und ihren Problemen befasst, aber die Thematik wird hier originell und fesselnd präsentiert. Für mich war das Buch sehr spannend - nur halt auf andere Art und Weise, als man es von einem Thriller erwarten würde.

Grace ist dabei ein überaus glaubwürdiger Charakter, wenn auch nicht immer ein liebenswerter. Sie ist oft zickig, oberflächlich und ich-bezogen, sie betrinkt sich mehr als einmal bis zum Erbrechen, sie hat Sex ohne jegliches tieferes Gefühl, sie ist ihrer Mutter gegenüber aggressiv... Aber dabei hat man immer mehr das Gefühl, dass das alles ein verzweifelter Hilfeschrei ist - obwohl sie sich dessen selber nicht bewusst ist. Sie hat es wirklich schon schwer gehabt in ihrem jungen Leben, und besonders den Tod ihres Vaters hat sie nie verwunden. Mir ging es so, dass Grace mir trotz all ihrer Fehler sympathisch war, auch wenn ich sie manchmal am Liebsten geschüttelt hätte! Ich habe wirklich mit ihr mitgefiebert und ihr gewünscht, dass sie ihr verkorkstes Leben in den Griff bekommt. Und sie hat natürlich auch ihre guten Seiten, wie z.B. die tiefe Liebe zu ihrer besten Freundin Sal.

Besagte beste Freundin mochte ich ebenfalls gerne, obwohl sie genauso ihre Fehler hat wie Grace und gegen Ende des Buches einen wirklich unverzeihlichen Fehler macht. Mit Graces Freund Nat konnte ich dagegen nicht so richtig warm werden - ich hatte nicht das Gefühl, ihn wirklich kennenzulernen. Er kam mir mehr vor wie eine Projektionsfläche für Graces Wunsch nach Liebe und Akzeptanz, was sicher nicht ganz unbeabsichtigt ist. Auch ihre Mutter blieb ein Abziehbild ihrer selbst, was aber die Entfremdung zwischen Mutter und Tochter umso deutlicher macht und daher für mich eher ein gelungenes Stilmittel als ein Manko darstellt.

Das Buch wird aus Graces Sicht erzählt; dementsprechend ist der Schreibstil locker, flappsig, oft sarkastisch und voller Jargon-Ausdrücke. Im englischen Original fand ich das großartig, weil ich wirklich das Gefühl hatte, einem "echten" Teenager zuzuhören! In der deutschen Übersetzung klingt es leider manchmal sehr bemüht und aufgesetzt.

Kontra:
Wie schon erwähnt, finde ich die deutsche Übersetzung an manchen Stellen nicht so ganz gelungen.

Aber mein größtes Kontra ist das Ende des Buches: das ging mir einfach zu schnell und ließ zu viele Dinge offen. Grace ist mit ihrer Selbstfindung so weit gekommen; ich hätte gerne wesentlich mehr darüber erfahren, wie sich das auf ihr Leben auswirkt.

Mit gefällt weder das englische noch das deutsche Cover so richtig gut. Das deutsche ist etwas nichtssagend: mal wieder ein Mädchengesicht, wie auf tausend anderen Covern auch. Das englische passt zwar gut zum Inhalt - es ist weiß und beinahe leer, wie der Raum, in dem Grace gefangengehalten wird -, aber es ist meiner Meinung nach zu blass und springt nicht ins Auge. In der Buchhandlung hätte ich es wohl nicht in die Hand genommen.

Zusammenfassung:
Trotz des (für mich) eher enttäuschenden Endes würde ich das Buch weiterempfehlen. Allerdings nicht unbedingt an Thriller-Fans, sondern eher an Leser, die Interesse haben an einem Buch, das von der psychologischen Entwicklung seiner Protagonistin lebt. Ich kann mir vorstellen, dass besonders Jugendliche, die sich mit Graces Problemen sicher viel besser identifizieren können, dieses Buch verschlingen werden.