Rezension

Babys als Lifestyleprodukte - eine Auseinandersetzung mit dem Konzept Mutterschaft

Das Weiße Schloss
von Christian Dittloff

Bewertet mit 4 Sternen

Ada und Yves leben in einer Modellsiedlung. Eine autofreie Grasdachsiedlung mit Komposttoiletten hätte ich mir gern vorgestellt, würde Ada nicht im Cabrio unterwegs sein. Das Paar ist in einem besonderen Auswahlverfahren erwählt worden, ihr Kind von einer Leihmutter zur Welt bringen zu lassen und es von ihr anschließend im Weißen Schloss aufziehen zu lassen. Die Tragemütter versorgen die Kinder normalerweise vier Jahre lang, Ada und Yves haben jedoch 6 Jahre gebucht. Kinder, die hier implantiert und geboren werden, werden einmal drei Elternteile haben.

Ada ist gelernte Marketing-Fachfrau und arbeitet als „Nadelöhrlady“ im Amt für Gesellschaftserweiterung. Vermutlich entscheidet sie über Einwanderungsanträge, und sie sucht selbst aktiv Menschen, die in die schöne utopische Welt des Christian Dittloff passen würden. Zu ihren Aufgaben gehört auch die Suche nach neuen Zeugungsmethoden und Konzepten von Elternschaft. Maria, die Tragemutter, wurde sorgfältig ausgewählt, passend zu einem Bildhauer und Restaurator als Vater des geplanten Kindes.

Eingeschoben sind kurze Kapitel u. a. über Oscar Hertwig, der vor 100 Jahren wichtige Erkenntnisse zum Befruchtungsvorgang gewonnen hat, über eine Kinderwunschklinik in der Ukraine (wo Leihmutterschaft und Eizellspende anders als in Deutschland erlaubt sind) und über die englische Mathematikerin Ada Lovelace. Die Figur der Ada Lovelace wirft die Frage auf, ob unsere Welt heute eine andere wäre, wenn Lovelace keine Kinder gehabt und nicht bereits mit 36 Jahren verstorben wäre.

Christian Dittloff entwickelt mit Focus auf das Elternpaar ein Szenario, in dem einige wohlhabende Eltern Schwangerschaft und erste Lebensjahre ihres Kindes so perfekt wie möglich optimieren, komplett an Hilfskräfte auslagern und dafür hohe Kosten zu tragen bereit sind. Ein Reproduktionstourismus scheint unausweichlich, ebenso die Ausbeutung von Frauen, die als Tragemutter ihren Lebensunterhalt verdienen. Yves ist es, der darüber nachdenkt, ob die Tragemutter, die sie gebucht haben, sich ihr Leben wirklich so vorgestellt hat. Wer Adas und Yves Weg zur Elternschaft folgt, könnte sich fragen, warum sie überhaupt ein Kind wollen. Weil sie es sich finanziell leisten können – oder ist es ein weiteres Lifestyleprojekt? Ihre Motive und die mit Kinderwunsch verbundenen Emotionen fand ich etwas zu karg dargestellt, so dass ich im Roman lange keine Spannungskurve ausmachen konnte. Der Auftritt von Nebenfiguren ließ die Spannung leicht anziehen; denn an Adas Arbeitsplatz muss auch darüber entschieden werden, ob Frauen im reproduktionsfähigen Alter eingestellt werden sollen. Lebensentwürfe, wie wir sie kennen, wirken in Adas Biotop altmodisch, sie werden bei Adas Schwester und dem Paar im Nachbarhaus angedeutet.

Dittloffs Utopie lenkt den Blick auf die verschleiernde Wirkung von Euphemismen; z. B. mit den Begriffen Leihmutter/Tragemutter. Seine Sprache wirkt streckenweise sehr sperrig, wenn sich Figuren sogar in der wörtlichen Rede höchst gewählt ausdrücken. Diese Sprache verbirgt Emotionen, die wir in der Gegenwart von werdenden Eltern gewohnt sind und rundet damit das Bild einer Generation im Optimierungswahn ab. Wer einige Titel aus Dittloffs Literaturverzeichnis kennt, wird nicht nur deren Einfluss auf den Roman erkennen (z. B. Kinder machen), sondern auch die Grenze zwischen Utopie und Realität. Trotz des fehlenden Spannungsbogens fand ich in seiner Utopie eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit Mutterschaft, Elternschaft und den Grenzen des Möglichen.