"Babysitten"
Bewertet mit 2.5 Sternen
Am Tag nachdem Gunnur beraubt wurde, kommt ihre ehemalige Innenarchitektin vorbei und lässt ihr ohne vorherige Absprache die 14-jährige Tochter da, weil niemand nach dem Mädchen sehen kann. Gunnur und die Innenarchitektin kennen sich nicht einmal gut, und die Tochter kennt sie überhaupt nicht.
„Reh“ nennt Gunnur sie, obwohl sie sich als widerspenstige, gleichgültige und verwöhnte Rotznase, mit allen Freuden der Pubertät kämpfend, herausstellt. So hat Gunnur ihre liebe Not mit dem Mädchen, es ist mitten im isländischen Winter, im Sommerhaus ist kein Internet-Empfang möglich, nur ein 2-Programm-Fernseher existiert, und der Akku des Handys wurde vergessen.
Das Mädchen fordert von Gunnur Geschichten aus deren Kindheit und Jugend, und so muss sie sich mit sich selbst konfrontieren: Mit dem Kind, das als Jüngstes von drei Mädchen bei einer alleinerziehenden, berufstätigen Mutter aufwuchs und das jeden Sommer für drei Monate irgendwohin aufs Land geschickt wurde, weil sich zuhause niemand kümmern konnte. Dort, bei Fremden, arbeitete sie im Haushalt, auf dem Feld, als Kindermädchen. Bis sie eines Tages zuhause den Spieß herumdrehte.
Irgendwie gelingt es Gunnur, sich mit dem Mädchen zu arrangieren, sie machen Ausflüge, gehen schwimmen, bis das Reh auf die Idee kommt, Schlittschuh zu laufen.
Zwei sich spiegelnde Stränge erzählt die Autorin: Gunnur, heute Psychotherapeutin, erlebte als Kind, wie sie während des Sommers weggeschickt wurde; heute landet bei ihr ein Mädchen, dessen Mutter auch niemanden hat, der es betreut.
Dass Gunnur ihre Kindheitsgeschichte auf Betreiben des Mädchens ausbreitet, wirkt unecht, künstlich; wie kann eine Therapeutin ihre gesammelten Probleme vor einer 14-jährigen abladen (auch wenn das Mädchen sie um die Geschichten bittet), was ihr während ihrer ausbildungsbegleitenden Pflichttherapie nicht gelang?
Natürlich kann sich der Leser dem Kind Gunnur nicht entziehen, das jahrelang mit ihm unbekanntem Ziel in einen Bus gesetzt wurde und dort, bei Fremden, ausharren musste, bis die Mutter die Rückkehr gestattete.
Andererseits wird die Kindheitsgeschichte zweifach in die Ferne gerückt: Man erlebt sie nicht unmittelbar, sondern als Erzählung aus der Vergangenheit, und Ich-Erzählerin Gunnur spricht von sich selbst in der dritten Person.
Nach dem ersten Kapitel spielt der Einbruch keine Rolle mehr, so dass man sich fragt, warum er an den Anfang gesetzt wurde. Die gesamte Einbruchsgeschichte hätte sich die Autorin sparen können ohne dass dem Buch etwas fehlen würde.
Noch merkwürdiger der Schluss: Schnitt mitten in der Szene. Nur zwei, drei Seiten mehr, und Gunnur wäre mit dem Reh wieder zuhause. So aber