Rezension

Begeisternder und bewegender Auftakt einer Trilogie einer Wiesbadener Familie über vier Generationen

Leuchtende Tage - Astrid Ruppert

Leuchtende Tage
von Astrid Ruppert

Bewertet mit 5 Sternen

Der Roman „Leuchtende Tage“ von Astrid Ruppert ist der erste Band einer Trilogie über die Frauen der Familie Winter. Die Autorin erzählt die Geschichte über vier Generationen hinweg. Lisette Winter, ihre Tochter Charlotte, ihre Enkelin Paula und ihre Urenkelin Maya stehen im Mittelpunkt des Geschehens.

Lisette wächst im gutsituierten Elternhaus in Wiesbaden zu Beginn des vorigen Jahrhunderts auf. Doch ihr Charakter ist gänzlich anders als ihre Mutter ihn sich gewünscht hätte. Sie möchte zur Schule gehen und im Haushalt und Garten helfen. Stattdessen wird sie privat unterrichtet und lernt dabei, wie das Personal ihres zukünftigen Ehemanns anzuweisen ist und wie sie sich in Gesellschaft standesgemäß zu verhalten und Konversion zu gestalten hat. Sie fühlt sich nicht nur im übertragenen Sinne in ein viel zu enges Korsett geschnürt und sie beginnt heimlich damit, Mode für Frauen zu entwerfen, in denen man sich wohlfühlen kann. Der Zufall bringt den noch jungen Schneider Emilie zum Nähen neuer Kleider ins Haus. Die beiden verlieben sich ineinander. Weil Lisette noch unter der elterlichen Aufsichtspflicht steht ist der einzige Weg für eine gemeinsame Zukunft eine Flucht, die ihnen gelingt. Für Lisette beginnen leuchtende Tage, denn Emile gibt ihr den benötigten Freiraum und lässt sie so sein, wie sie sein will.

Lisettes Urenkelin Maya ist Ende Zwanzig, Übersetzerin und lebt in Frankfurt. Beruflich ist sie wenig erfolgreich. Zu ihrer Mutter Paula, die sich immer dagegen gewehrt hat, auf die Mutterrolle reduziert zu werden, hat sie zwar Kontakt, doch ihre Ansichten sind sehr unterschiedlich. Auch Paulas Meinungen sind meist konträr zu denen von Großmutter Charlotte. Aufgrund ihrer Faszination für Lost Places beginnt Maya, sich damit auseinanderzusetzen, wo Lisette einst gewohnt hat. Mehr und mehr versucht sie die Handlungen ihrer Urgroßmutter zu verstehen. Dabei stellt sie ihr eigenes Leben auf den Prüfstand versucht zu ergründen, welche Dinge ihr wirklich wichtig sind.

Astrid Ruppert verknüpft geschickt die Gegenwart mit der Vergangenheit, auf der der Schwerpunkt der Geschichte liegt. Es gelingt ihr sehr gut, den Konflikt zwischen Lisette und ihrer Familie herauszuarbeiten, der dazu führt, dass sie ihr Elternhaus heimlich verlässt. Aus der heutigen Sicht gesehen, konnte ich ihre Handlung verstehen. Nur ungerne ließ ich mich daran erinnern, dass zur damaligen Zeit vor allem Frauen in gehobenen Kreisen nicht nur Kleidervorschriften einzuhalten hatten und sie ausschließlich zum Führen des Haushalts ihres Ehemanns erzogen wurden, was ja leider der Realität entsprach. Die Autorin schafft mit Lisette eine überzeugende Figur, die auf ihrem Weg zur Selbstverwirklichung manche Hindernisse überwinden muss. Dabei sind einige Entscheidungen auch mit Schmerz und Tränen verbunden. Doch auch für Lisettes Mutter Dora wirbt Astrid Ruppert für Verständnis, denn ihr Willen ist ebenso stark wie Lisettes. Beiden gemeinsam ist es, sich dem Elternhaus zu widersetzen.

Der Roman ist eingebunden in die Historie der Kleidungsherstellung von Beginn des letzten Jahrhunderts an bis Mitte der 1930er Jahre in Deutschland, aber vor allem in Wiesbaden, dass durch seine Stellung als Kurstadt dem Konservativen anhing. In der Gegenwart hat Maya sich dem allgemeinen Lebensstil angepasst. Ihren Vater hat sie nie kennen gelernt. Sie führt eine lockere Beziehung mit ihrem Freund und hat sich ohne Aufsehen ein selbstbestimmtes Leben in einer kleinen Wohnung aufgebaut. Die Autorin verdeutlicht, dass auch Maya nicht richtig glücklich ist. Ihr fehlt der familiäre Zusammenhalt und die ganz tiefen Gefühle.

„Leuchtende Tage“ von Astrid Ruppert ist der begeisternde und bewegende Auftakt einer Trilogie über die Frauen der Familie Winter, die auf ihre jeweils eigene Art danach streben, so zu sein wie sie sein wollen. Ich bin sehr gespannt, wie die Geschichte sich weiter entwickeln wird, inwieweit Maya an der Kenntnis über die Vergangenheit ihrer Familie selbst weiterwachsen und ob sie herausfinden kann, wer sie sein möchte. Gerne empfehle ich den Roman weiter.