Rezension

Beredtes Schweigen

Der Verschwundene -

Der Verschwundene
von Lot Vekemans

Bewertet mit 4.5 Sternen

Simon war vor 25 Jahren aus den Niederlanden nach Kanada ausgewandert, als er die Streitereien in seiner Familie satt hatte. Mit einem Zwillingsbruder geschlagen, der offenbar nur existierte, um Simons Unfähigkeit bloßzustellen, zog er auch in seinem Leben als Auswanderer stets den Schwarzen Peter. Nach diversen Brüchen und Umzügen kommt Simon offenbar besser ohne andere Menschen klar. Mit über 50 muss er sich damit abfinden, dass er wegen einer schlecht heilenden Verletzung weniger körperliche Arbeit leisten kann und sein Verdienst kaum zum Leben reichen wird. Als seine Schwester Hanne ihren Sohn Daan zu Simon nach Calgary schicken will, weil sie seine Eskapaden nicht mehr erträgt, nimmt Simon das wie so vieles hin.  „Der Junge“ hat keinen Plan, was er bei seinem Onkel tun und erreichen soll, und Simon hat mit seiner Schwester nicht über die Ziele dieser Erlebnispädagogik gesprochen. Praktikum, Ehrenamt, für 16-Jährige wird es doch eine Beschäftigung geben, selbst wenn sie offiziell nicht arbeiten dürfen. Simon arbeitet in drei Jobs, an sieben Tagen der Woche; „der Junge“ hängt derweil herum.

Daan dagegen weiß was er will, in die Rocky Mountains. Wanderschuhe und den gepackten Tourenrucksack hat er aus den Niederlanden schon mitgebracht. Simon hatte mit den Rockies nie etwas im Sinn. Würde man ihn fragen, wovon er träumt, wäre das ein Blick auf den Hafen von Vancouver. Als er sich doch zum gemeinsamen Ausflug in die Berge durchringt (weit zu fahren und teurer Eintritt in den Jasper-Nationalpark), lernen er und „der Junge“ einen Vater mit einem behindert wirkenden Sohn kennen. Jeder mit einem Funken Verstand würde diesen Chris als Aufschneider erkennen und ihm nicht über den Weg trauen. Erst recht nicht in einem Revier, indem es Bären und Pumas gibt und in das Menschen zu Besuch kommen dürfen, wenn sie sich der Natur anpassen. U. a. weil Simon sich für die Rockies nicht interessiert, wird  er wie gewohnt zur leichten Beute. Als Chris und sein Sohn überstürzt abreisen und „der Junge“ nicht aufzufinden ist, muss Simon zur kanadischen Polizei, um eine Vermisstenmeldung aufzugeben …

Mit pointiertem Zynismus beschreibt Lot Vekemans, wie Simons Familie sich in dem beredtem Schweigen umkreist, das erst zu Daans Verschwinden führte. Als Leser wartet man darauf, dass der Ausflug in die Rockies schief geht. Ungefährlich ist die Idylle nicht – und Simon ist alles andere als das Unschuldslamm, das er nach außen zeigt.