Rezension

Bewegend und politisch brisant

Der Trost der Rache
von Wilfried Steiner

Bewertet mit 5 Sternen

„...Schon die Anzahl der Sterne war überwältigend. Die Milchstraße war kein blasses Band, sondern ein hell gleißender Fluss, der sich zu bewegen schien. Ein Lavastrom, über dem violette Dunstfetzen hingen...“

 

Adrian ist Hobbyastronom, seine Frau Karin arbeitet als Psychologin.

Alles begann mit dem Tod von Adrians Vater, einen bekannten Wiener Onkologen. Danach wollte sich Adrian einen lang ersehnten Wunsch erfüllen und dass Teleskop auf La Palma besuchen. Normalerweise hat Adrian für Reisen nichts übrig. Er mag seine Ruhe. Karin dagegen fährt gern die Ferne und beschäftigt sich dort mit Trendsportarten.

Bei der Ankunft auf La Palma lernen Adrian und Karin auf der Nachbarterrasse des Hotels die Chilenin Sara kennen.

Der Autor hat einen fesselnden Gegenwartsroman geschrieben. Auf geschickte Weise verknüpft er nicht nur mehrere Schicksale miteinander, sondern stellt auch Beziehungen zur Vergangenheit her. Die Geschichte wird von Adrian im Rückblick erzählt.

Der Schriftstil des Buches lässt sich zügig lesen. Er ist sehr abwechslungsreich und passt sich der inhaltlichen Stimmung an.

Ausführlich werden die Autofahrten und Spaziergänge auf Mallorca beschreiben, sodass ich die Sehenswürdigkeiten und besondere Plätze der Insel kennenlerne. Durch Adrian und seine Gespräche mit Wissenschaftlern in den vergangenen Jahren bekomme ich eine Einblick in moderne Kosmologie und Quantenphysik. Das geschieht allgemeinverständlich und anschaulich.

Auffallend ist die bildhafte Sprache für die Wiedergabe der Landschaft, aber auch für die Beschreibung von Stimmungen und Gedanken. Häufig werden dabei die Terminologie der Sternenwelt und die unendliche Weite des Kosmos als Metapher verwendet. Obiges Zitat gibt einen Blick auf den Sternenhimmel wieder.

Ganz anders allerdings wirken die Teile, die sich mit politischen Themen beschäftigen. Sara war 15 Jahre, als der Putsch in Chile den demokratisch gewählten Präsidenten hinwegfegte.

Ein sachlicher und knapp erzählender Stil prägt diese Abschnitte. Das sorgt dafür, dass die Grausamkeit der Ereignisse besonders eindringlich bei mir als Leser ankommen. Adrians Internetrecherchen und deren Zusammenfassung gegenüber Karin bringen politisch brisante Einzelheiten zutage, während Saras persönliche Erlebnisse emotional tief berühren. Nicht über alles kann sie sprechen. Deshalb gibt ihr der Autor als besonders Stilmittel die Möglichkeit, einen Brief zu schreiben. Bitter ist es außerdem für die Betroffenen, dass ihnen nie Gerechtigkeit widerfahren ist. Die Weltgemeinschaft hat weggesehen und vertuscht.

Eine kurze Episode wendet sich dem Franco-Regime in Spanien zu. Gekonnt einbezogen wurden bekannte und weniger bekannte Wissenschaftler und Künstler. Die Ermordung des Musikers Victor Jara, der ungeklärte Tod des Poeten Pablo Neruda, die Inhaftierung von Wilhelm Reich in Amerika steht gegenüber, dass einer der Ärzte der deutschen Kolonie in Chile trotz Foltervorwürfe und Verurteilung nach wie vor in Deutschland seine Freiheit genießen kann.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Der Gegensatz zwischen der Schönheit und Weite des Alls und den Unzulänglichkeiten der menschlichen Gesellschaft, die selbst Grausamkeiten toleriert, wird gekonnt herausgearbeitet.

Ein Zitat, dass Saras inneren Zustand beschreibt, möge meine Rezension beenden:

„...An einem bestimmten Punkt ihrer Nachforschungen geschah etwas mit Sara. Zum ersten Mal entdeckte sie ein Gefühl in sich, dass ihr bisher nicht bekannt war. .. Es dauerte eine Weile, bis sie es benennen konnte: Lust auf Rache. Er verbarg sich in einem anderen, edleren Gefühl, der Sehnsucht nach Gerechtigkeit...“