Rezension

Briefroman voller Streitthemen

Zwischen Welten -

Zwischen Welten
von Juli Zeh

Bewertet mit 5 Sternen

„Zwischen Welten“ handelt von Stefan „Stevie“ „Steffy“ und Theresa „Tessa“. Stefan ist 46 und Single. Er wohnt in einer so puristisch wie teuer eingerichteten Wohnung in Hamburg (mit bulthaup-Küche!), Kulturchef einer renommierten Wochenzeitung mit dem Sch…Titel DER BOTE, fragt sich nur welche BOTschaft der BOTE überbringt. Theresa ist 43, seit zwölf Jahren mit Basti verheiratet und Mutter zweier Kinder. Sie führt einen Bio-Bauernhof in Schütte in der brandenburgischen Provinz.

Während des Studiums haben Stefan und Theresa zusammen in einer WG in Münster gewohnt – wie Bruder und Schwester. Asexualität, dafür redeten beide gerne und viel. Als Theresa ihr Studium abbrach, um nach dem Tod ihres Vaters den Hof zu übernehmen, haben sich die beiden aus den Augen verloren. Jetzt nach zwanzig Jahren laufen sie sich in Hamburg zufällig wieder über den Weg. Das Wiedersehen endet in einem Desaster. Nomen ist omen. Der Briefroman kann beginnen. Natürlich modern - per E-Mail und WhatsApp.

Stefan und Theresa beschreiben ihre jeweiligen Lebenswelten. Und diese Welten trennen Welten, mit starker Zuspitzung, die unter die Haut geht, sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Während Theresa frühmorgens aufsteht, um 200 Kühe zu melken, sitzt Kulturjournalist Stefan im ICE, um zu einer Kunstvernissage zu fahren, seinen Caffè Latte mit Hafermilch schlürfend. Theresa in der anderen Welt, die sich Tag für Tag Hände und Gummistiefel dreckig macht, nie mit ihrer Familie für ein paar Tage in Urlaub fahren kann und trotz dieser Schufterei keine Chance hat, mit ihrem Hof finanziell je auf einen grünen Zweig zu kommen.

Theresa und Stefan brennen sämtliche aktuellen Themen unter den Nägeln: Von Klima- und Landwirtschaftspolitik über die (Un-)Abhängigkeit der Presse, Rassismus, Corona-Maßnahmen und den Ukraine-Krieg bis hin zum Gendern in der Sprache kommt alles vor.

Stefan entpuppt sich als „kastrierter Bettvorleger“, ein echtes Weichei, karrieregeil und als Mann ohne Partizipien. Ein theoretisierender Blender, auf den menschlich kein Verlass ist.
Ganz anders Theresa, die als Antwort auf die Tragödien in ihrer nächsten Umgebung, auf die politischen Verwerfungen der deutschen Landwirtschaftspolitik und den Umgang mit den Menschen während der Bodenreform in der alten DDR. Sie kennt nur eine Antwort und die gibt sie, eine Powerfrau, die mit offenem Visier kämpft.

Ein hochaktueller Roman darüber, wie polarisiert unsere Gesellschaft ist und wie politische Streitthemen Beziehungen zerfressen können.

Gendern ja, aber richtig - sprich vernünftig: Keine Sternchen, keine Unterstriche, beim Zeus – kein Binnen-I, kein Gender-Gap, kein Bindestrich, dann doch ausgeschrieben. Viel besser: Bei der ersten maskulinen Personenbezeichnung im Text eine Fußnote einfügen, in der zum Beispiel steht: „Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird im Text das generische Maskulinum verwendet. Gemeint sind jedoch immer alle Geschlechter.“