Rezension

Brillante Novelle über Amerikas "Golden Boy"

Der Sommer, in dem F. Scott Fitzgerald beinahe einen Kellner zersägte - Emily Walton

Der Sommer, in dem F. Scott Fitzgerald beinahe einen Kellner zersägte
von Emily Walton

Trunken vom Leben

Noch nie haben so viele Autoren literarische Größen zu Protagonisten ihrer Romane gemacht wie in jüngster Zeit. Nachdem ich bereits Als Hemingway mich liebte von Naomi Wood und Westlich des Sunset von Stewart O’Nan rezensiert habe, möchte ich heute diese brillante Novelle der britischen Schriftstellerin Emily Walton empfehlen, die wirklich bemerkenswert ist. Während sich O’Nan in seinem Roman auf Fitzgeralds letzte Jahre in Hollywood fokussiert, handelt Waltons Werk vom schicksalhaften Sommer 1926, den der legendäre Schriftsteller mit seiner Frau Zelda bei seinen vermögenden Freunden Gerald und Sara Murphy in deren luxuriöser Villa America im südfranzösischen Fischerdorf Juan-les Pins an der Côte d’Azur verbrachte. Yale-Absolvent Gerald, Sohn eines wohlhabenden Lederwarenhändlers aus New York, und Sara, Tochter eines vermögenden Tintenherstellers, sind trotz ihres Reichtums bodenständig und führen mit ihren Kindern ein relativ normales Leben. Auf der anderen Seite sind sie sehr kunst- und literaturbegeistert und veranstalten in ihrem südfranzösischen Domizil regelmäßig exklusive Parties, zu denen die Crème de la crème der Künstler und Literaten eingeladen ist. In diesem ganz besonderen Sommer sind neben Fitzgerald auch Ernest Hemingway, Dorothy Parker, Pablo Picasso u.v.m. anwesend.

Schicksalhafter Sommer zwischen Euphorie, Exzessen und Verzweiflung

Für Fitzgerald ist die Côte d’Azur eine ganz besondere, Glück bringende Location, denn hier vollendete er schon seinen berühmten Roman The Great Gatsby, der sich zwar zunächst nur mäßig verkaufte, dann aber als Broadway-Inszenierung gefeiert wurde. Und so macht er sich denn auch voller Euphorie und Tatendrang daran, seinen neuen Roman, dessen Titel später Tender is the Night lauten wird, zu Papier zu bringen. Doch nichts will ihm gelingen: Er trinkt bis zum Exzess und benimmt sich auf den Parties seiner Freunde immer mehr daneben, bis man ihm sogar zeitweise Hausverbot erteilt. Seine Eifersucht auf Hemingway, den die Murphys vergöttern und dessen Roman Fiesta er sogar bereitwillig redigiert, wird immer offensichtlicher, denn er beneidet den literarischen Shooting-Star insgeheim um seine zur Schau gestellte Männlichkeit. Fitzgeralds Minderwertigkeitskomplexe und der verzweifelte Wunsch, unbedingt zu den Reichen und Schönen dazugehören zu wollen, verleiten ihn dazu, alles zu tun, um Aufmerksamkeit zu erhalten – wie peinlich es auch immer sein mag. Als dann auch noch die psychischen Probleme seiner Frau Zelda immer evidenter werden, gerät sein Leben mehr und mehr aus den Fugen.

Neustart eines Überlebenskünstlers

Am Ende dieses Sommers ist Fitzgerald nichts geblieben: Seine Freunde ziehen sich zurück, sein Roman ist nicht fertiggeworden und seine finanziellen Probleme rücken in den Vordergrund. Aber trotz aller Widrigkeiten wird er sich nicht unterkriegen lassen, nochmals alles auf eine Karte setzen und einen Neustart wagen – Richtung Hollywood. Auch wenn er sich selbst oftmals als Versager sah, so ist er doch die exakte Verkörperung des American Dream, dessen Maxime – niemals aufgeben, immer wieder aufstehen und sich stets neu erfinden – er sich so oft wie nötig zu eigen machte. Dieser unbedingte Überlebenswille ist es denn auch, der Fitzgerald – trotz aller Niederlagen – zu einem Sieger über all diejenigen machte, die ihn viel zu früh aufgaben.

Brillant konzipierte Novelle über Amerikas "Golden Boy"

Waltons einzigartige Novelle über Fitzgerald ist ein kleines Meisterwerk über einen Schriftsteller, der – wie kaum ein anderer – eine ganze Generation prägte. Auf der Grundlage ihrer exzellenten Recherchen erweckt die Autorin die künstlerischen Persönlichkeiten der Goldenen Zwanziger, allen voran natürlich Amerikas Golden Boy, wie man Fitzgerald nannte, wieder zum Leben und gewährt detaillierte Einblicke in ihre Gedanken- und Gefühlswelt – dies so gekonnt, dass man als Leser das Gefühl hat, mitten im Geschehen unter alten Freunden zu sein und beinahe vergisst, dass es sich hierbei um Fiktion handelt. Das Buch ist darüber hinaus ein sehr guter Anreiz, um sich erneut oder zum ersten Mal mit Fitzgerald und seinen Werken zu beschäftigen, denn das literarische Vermächtnis, das er hinterlassen hat, wird die Zeit überdauern.