Rezension

Buch mit Verfallsdatum

Derrick oder Die Leidenschaft für das Mittelmaß - Umberto Eco

Derrick oder Die Leidenschaft für das Mittelmaß
von Umberto Eco

Bewertet mit 3.5 Sternen

Gibt es etwas Deutscheres als Kommissar Derrick, die vollkommene Verkörperung von Durchschnittlichkeit, Phlegma und Beamtenkarriere? Phänomene wie den deutschen Geist im Streifenwagen, Ginger Rogers und Clintons Verfehlungen, Andreottis Mafiaprozess und die neue Computerkultur kann niemand besser erklären als Umberto Eco. Ein Band voll ironisch-intelligenter Parodien. (Verlagsseite) 

Die Texte dieses Buches sind eine Auswahl aus dem 2000 bei Bompiani erschienen Band „La Bustina di Minerva“.
Diese Kolumne erscheint seit 1985 zunächst wöchentlich, später vierzehntäglich in dem römischen Nachrichtenmagazin „L’Espresso“.
In den Jahren 1986-1988 und 1996 wurden sie in der Wochenzeitung „Die Zeit“, bzw. im „Zeit-Magazin“ in deutscher Übersetzung veröffentlicht. Ihr Titel: „Streichholzbriefe“ nach den Streichholzpäckchen, die man mit Werbeaufdruck von Bars, Cafés oder vom Kiosk bekam, und auf die man kurze Notizen, Telefonnummer oder Gedankenstützen kritzeln konnte.

Umberto Eco gehört zu den Universalgelehrten unserer Zeit. Er ist Philosoph und Filou, Geschichtenerzähler und Schwätzer, Forscher und Listenfanatiker. Nicht alles aus seiner Feder liest sich so spannend wie „Der Name der Rose“, und an einigem beißt sich auch ein geübter Leser die Zähne aus, z.B. „Das Foucaultsche Pendel“. 

In den kleinen Texten dieses Bandes erweist er sich als scharfsinniger Analytiker des Zeitgeschehens; ebenso versucht er sich als Hellseher. Da die Beiträge zu diesem Buch bereits Ende der 1990er Jahre geschrieben wurden, kann man einiges davon heute verifizieren.
Er betrachtet Zeit-Phänomene von einer anderen Warte, vergleicht beispielsweise die Emigration unserer Zeit mit den Völkerwanderungen vergangener Jahrhunderte und Jahrtausende. Wie hier nimmt er immer wieder die Historie als Beleg für das Rätselhafte, das hier und heute geschieht.
Dass er mitunter polemisch, sarkastisch und mit beißender Ironie schreibt, verwundert nicht. Es ist der eigene Ärger, die eigene Empörung, die ihn zu seinen Themen treibt, wie er im Vorwort berichtet.
Man liest belustigt, betroffen oder berührt von Ecos Gedanken, denen auch die Beschäftigung mit Derrick, Fußball oder Darmspiegelungen nicht fremd ist. 

Eco hatte im Jahr 2000 eine Sammlung seiner Bustina für die italienischen Leser zusammengestellt. Wenn ich die Sätze auf dem Vorblatt richtig verstanden habe, traf der deutsche Übersetzer Burkhart Kroeber daraus seine Auswahl, für die er nicht durchgängig ein glückliches Händchen hatte. Für einen deutschen Leser sind einige der Glossen weniger interessant, es sei denn, er hätte Details der italienischen Politik, Gesellschaft und Kultur der letzten 20 Jahre in seinem Kopf präsent. 
Klar, dass von allen 41 Bustina ausgerechnet diese Überschrift zum Titel der deutschen Ausgabe gewählt wurde. 

Leider: Trotz des Spaßes, den das Lesen bietet, ist dies ein Buch mit Verfallsdatum. Denn Derrick gibt’s seit längerer Zeit nicht mehr, und Horst Tappert ist auch schon tot.