Rezension

Chronik unerheblicher Vorkommnisse

Die Tutoren -

Die Tutoren
von Bora Cosic

Bewertet mit 2 Sternen

Bora Cosic macht es seinen Lesern nicht leicht, denn eigentlich geht es ihm nicht um eine Geschichte, sondern um Sprache, also: Wie wandeln sich Wirklichkeiten, indem man sie in Sprache kleidet. Hierzu entwirft er eine eigenwillige Haute Couture der Textsorten – nachgeplappert den Sprachlehrern oder Tutoren – für das Fundament von „Die Tutoren“, nämlich die Generationenfolge der Familie Uskokovic aus Grunt. Diese Textsorten gestalten die Kapitel des Romans, Cosic nennt sie selbst im Nachwort: „Lexikon / Bauernkalender / Lesebuch / Belehrender Bilderbogen / Dilettanten / Bildunterschriften / Kitsch / Katalogverzeichnis / Haushaltsbuch / Comic / Kochwissenschaft / Pornografie / Baedeker / Volksliederbuch / Schundroman in Fortsetzungen / Privater Briefwechsel / Literarische Sprache / Amts- und Verordnungssprache.“ (S. 786) Ich hätte schwören können, dass auch einige Seiten Telefonbuch dabei waren, so stattliche Namenskolonnen rasselten da über die Seiten. Von Namen gab es viele, von Absätzen nur sehr wenige. Das Kapitel Bauernkalender kommt ganz ohne einen Absatz aus, und sogar das Volksliederbuch entbehrt der Absätze und ihrer wohltuenden Gliederungswirkung, obschon der Text gereimt ist. 

Abgesehen von dieser stilistischen Manieriertheit, die das Spiel von 180 annehmbaren auf 800 ehrfurchtgebietende Seiten ausdehnt, verlässt sich Cosic auf eine handlungsarne Inhaltsfülle, die er eine „Chronik unerheblicher Vorkommnisse“ nennt (S. 785). Was mich durch die Zeilen trug, war also das Interesse am Sprachspiel und die Bewunderung für die Übersetzungsleistung von Brigitte Döbert. Immerhin beeindruckt auch die Chuzpe, mit der jemand eine basale Handlung als Reihe von Lexikonlemmata darstellt – und es funktioniert! Es entsteht ein ganz breites Lektürebild einer serbischen Gesellschaft im Wandel, das einem den Fortschritt in der rückständigen serbischen Provinz, die Gottgläubigkeit der Landbevölkerung, die politischen Emotionen beim Zusammenbruch der Habsburger Dynastie näher bringt.