Rezension

Cliffhanger und untersteirisches Lokalkolorit

Graz im Dunkeln - Robert Preis

Graz im Dunkeln
von Robert Preis

Bewertet mit 3 Sternen

Ein Amoklauf in einem Einkaufszentrum wirft den Grazer Chefermittler Armin Trost aus der Bahn. Während es ihm zwar gelingt, den bewaffneten jungen Mann im Zuge einer atemberaubenden Verfolgungsjagd durch den Plabutschtunnel zu überwältigen, ist er hinterher reif für einen Erholungsurlaub. Doch in dem Wellnesshotel in der Oststeiermark, in das er sich zurückzieht, scheint nicht alles mit rechten Dingen zuzugehen: Daß beispielsweise manche Therapeuten sich zu intensiv mit seltsamen Philosophien identifiziern, mag noch als Eigenart durchgehen, als jedoch eine Leiche gefunden wird und Hotelgäste verschwinden, muß Trost wieder dienstlich werden. Und sich damit auch selbst in tödlche Gefahr begeben.

Der nach "Trost und Spiele" mittlerweile zweite Fall für den Polizisten aus der steirischen Landeshauptstadt ist in 65 Kapiteln mit wechselnden Perspektiven gegliedert, in denen in dritter Person aus der Sicht jeweils einer Figur erzählt wird. Abgesehen von einzelnen im Präteritum verfaßten Rückblenden fungiert überwiegend das Präsens als Erzähltempus. Für die Gattung Krimi/Thriller unüblich und während des Lesens auch ungewohnt, erklärt sie sich doch aus dem beruflichen Hintergrund des Autors Robert Preis als Redakteur einer Tageszeitung. Zudem führt - nein, reißt! - das Präsens den Leser noch näher an den Text heran, was gerade im ersten Teil eine besonders explosive Wirkung entfaltet, da zum einen die Gewöhnung an den Stil erst einsetzen muß und zum anderen die Sinneseindrücke der Hauptfigur beinahe psychedelisch intensiv geschildert werden.

Als noch stärker gewöhnungsbedürftig erweisen sich die einzelnen Kapitelanfänge, die sich oftmals als eine sprachliche Kamerafahrt von der Nahaufnahme in die Totale gestalten. Das bedeutet, daß die im Fokus stehende Figur erst nach der Schildung eines Handlungsdetails offenbar wird, was dem Leser zusätzliche Aufmerksamkeit abverlangt und den Lesefluß durch die erzeugte Unsicherheit immer wieder ins Stocken bringt.

Der in der Einleitung geschilderte Amoklauf endet in einem Grazer Autobahntunnel. Was sich in diesem tatsächlich ereignet, erfährt der Leser allerdings erst relativ spät. Im Unterschied zu Cliffhangern, die üblicherweise eingesetzt werden, um Spannung zu erzeugen, wird hier jedoch oft eine Situation erzeugt, in welcher der Leser über einen geringeren Informationsstand als die Figuren verfügt. Dadurch entsteht ein Gefühl der Benachteiligung, das über weite Strecken des Buches ein zuverlässiger Begleiter bleibt. Sei es ein Gesprächspartner am Telephon, der verschwiegen wird, ein aus dem Gästebuch des Hotels ausradierter Name, den zwar der Ermittler erfährt, nicht jedoch der Leser, der Autor erhebt es zum Stilmittel, den Leser im Ungewissen zu belassen. Die erwähnten rhetorischen Kamerafahrten an den Kapitelanfängen sind ein weiteres Symptom. Was einen derartigen Umgang mit der Schlüsselszene des Romans, die Verfolgung im Tunnel, anbelangt, so mag man diese Irreführung dem Autor durchgehen lassen, ist diese Art der Schilderung doch Voraussetzung für die gewählte Entfaltung der Geschichte. In den meisten anderen Fällen droht jedoch ein als Präzisionswerkzeug zu verwendendes Stilmittel stumpf zu werden, anstelle der Spannung stellt sich Ungeduld, wenn nicht sogar Verärgerung ein.

Ein Qualitätsmerkmal für einen Krimi, der auf die regionale Verortung Wert legt, ist das Ausmaß der Sprachfärbung und die Rolle des Dialekts und dialektaler Ausdrücke. Im vorliegenden Roman ist dieser Aspekt ausgewogen abgedeckt, anhand sprachlicher Aspekte ist eindeutig die Steiermark als Ort der Handlung erkennbar. Direkte Rede im Dialekt wird Nebenfiguren überlassen (beispielsweise "Sie ham schon Dirndln. Dirndln hams."), um die Hauptfigur von dieser Aufgabe zu entlasten und das Verständnis zu gewährleisten. Eindeutige Austriazismen wie etwa "schöpfen", "brocken" oder "Hascherl" werden aber auch von der Erzählstimme verwendet, was zudem seinen Beitrag leistet und für das feine Gespür des Autors in seinem Metier spricht.

Nicht zu verkennen sind auch die vielen zynischen Untertöne in der Erzählung, von denen die Handlung begleitet wird. Dabei ist offensichtlich weder das Aufzeigen von gesellschaftlichen Mißständen, noch kritisch-differenzierte Betrachtung ein Anliegen des Autors. Vielmehr karikiert er hingebungsvoll Modeerscheinungen wie die Konjunktur von Wellness-Urlauben. Die Yoga-Lehrerin wird unter anderem beschrieben mit: "Sie sagt zum Beispiel nicht 'einatmen', sondern 'ainatmen', und wenn sie 'ausatmen' sagen sollte, spricht sie es 'ahusatmen' aus." Bei all der Überzeichung, die im Wesen einer Karikatur liegt, will sie doch Hinterfragenswertes aufzeigen, was der Autor auch gekonnt nutzt, um dem Leser das eine oder andere Schmunzeln zu entlocken.

Fazit:

Wer in der Lage ist, darüber hinwegzusehen, als Leser mutwillig im Ungewissen gehalten zu werden, wird einen spannungsgeladenen Krimi mit viel Lokalkolorit und durchsetzt mit bissig-unterhaltsamen Kommentaren genießen.

Randbemerkung: Trotz all der seltsamen Begebenheiten im Roman kann ein Urlaub im Land des Dachsteins und des Kernöls nach wie vor bedenkenlos empfohlen werden.