Rezension

Coming of Age-Roman über Feminismus und Mental Health

Am I Normal Yet? - Holly Bourne

Am I Normal Yet?
von Holly Bourne

Bewertet mit 4 Sternen

Dieses Buch drückt einige sehr wichtige Messages aus und behandelt extrem wichtige Themen– allen voran Feminismus und Mental Health. Gleichzeitig ist es auch durchaus ein Coming of Age-Roman, das bedeutet Partys, verliebt sein oder zumindest glauben, es zu sein, Betrunkensein, Konflikte mit den Eltern, aber eben auch Freundschaften und die Frage danach, wer man sein will und was wirklich zählt.

Ich fand Evie dabei ziemlich authentisch für ihr Alter, gerade wenn sie sich mit ihren Eltern oder auch ihrer Therapeutin streitet. Dann legt sie dieses typische trotzige, alles persönlich nehmende, vorwurfsvolle Verhalten an den Tag. Inklusive Anschuldigungen, die nicht immer ganz fair sein, und Streitgesprächen, bei denen beide Parteien aneinander vorbeireden – was ich einfach unglaublich authentisch und realistisch fand.
Aber keine Angst, das ist die Ausnahme, ansonsten ist Evie definitiv keine anstrengende Protagonistin. Manchmal ein wenig naiv vielleicht, aber auch das ist irgendwo authentisch. Sie hat Ecken und Kanten, macht manchmal Dinge nicht perfekt und weiß es, gleichzeitig fand ich ihre Gründe dafür immer nachvollziehbar.
Sehr schön fand ich auch ihre Beziehung zu ihrer zwölfjährigen Schwester Rose. Es ist sehr schön zu sehen, wie die beiden sich gegenseitig unterstützen und füreinander da sind.

Im Verlaufe der Handlung trifft sich Evie mit verschiedenen Jungen, was man verschieden aufnehmen kann. Einerseits bedeutet das, dass sie fast auf jeden Typen steht, den sie irgendwie kennenlernt. Andererseits fand ich es auch irgendwie realistisch, dass Evie nicht sofort die Liebe ihres Lebens kennenlernt, schließlich ist sie erst 16. Stattdessen probiert sie aus, macht Fehler und negative Erfahrungen und man kann darüber diskutieren, inwieweit sie teilweise wirklich verliebt ist – was in meinen Augen relativ authentisch ist.

Und: Dieses Buch ist keine Liebesgeschichte, sondern ein Coming of Age-Roman über Freundschaften, Mental Health, Feminismus, Selbstfindung und vielem mehr, in dem es eben auch um Dates und erste Beziehungen geht. Dabei mochte ich es, dass auch thematisiert wird, dass man für eine Beziehung sich nicht verstellen und sein altes Leben aufgeben soll – was allerdings genau das ist, was Evies ehemals beste Freundin Jane tut.
Doch auch gerade bei dieser zeigt sich, dass die Charaktere sehr vielschichtig gezeichnet sind und, auch wenn sie sich falsch verhalten, oftmals auch gute Seiten haben – und es damit kein Schwarz-Weiß-Denken gibt.

Die OCD und die Anxiety nehmen natürlich einen wesentlichen Teil des Buches ein, ohne dass Evies Charakter ausschließlich darüber bestimmt wird. Ich muss zugeben, dass ich mich vorher kaum damit auseinandergesetzt hatte und das Buch mir die Möglichkeit gab, relativ viel zu lernen – sowohl über die Krankheit, als auch über den Umgang.
Auf der anderen Seite fand ich die Krankheit unheimlich nachvollziehbar dargestellt. Evie geht es besser und sie beginnt, die Dosierung ihrer Medikamente runterzusetzen, aber natürlich ist sie längst nicht geheilt und man merkt, wie es vor allem darum geht, die Gedanken zu kontrollieren. Und diese bekommt der*die Leser*in durch die Ich-Perspektive direkt mit – und auch durch das Format. Das Ganze wird als Recovery Diary dargestellt, und die „schlechten Gedanken“ werden in anderer Schriftart eingeführt.
Und auch wenn ich ihre Panik nicht verstehen konnte, konnte ich ihre Gedankengänge nachvollziehen. Dazu trägt auch der Schreibstil bei, der die Gedankenspiralen und wachsende Panik nachempfindbar darstellt, wobei ich die Authentizität nicht bewerten kann. Aber auch Evies Angst vor den Reaktionen anderer, ihre Scham und ihr Wunsch, normal zu sein, fand ich nachvollziehbar dargestellt – und das fand ich absolut gelungen an diesem Buch. Und: Ich mochte es, dass Therapie mal nicht verteufelt und negativ dargestellt wird.

Ein anderes zentrales Thema ist der Feminismus, was ich einfach ziemlich cool fand. Amber, Lottie und Evie diskutieren feministische Themen und versuchen, diese auf ihren Alltag zu übertragen, aber auch wenn sie versuchen, Jungen nicht zu dem Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens zu machen, reden sie miteinander über ihre aktuellen Schwärme und unterstützen sich vor allem bedingungslos. Ich mochte die Freundschaft zwischen ihnen unheimlich gerne.
Für jemanden, der sich bereits ein wenig mit Feminismus auseinandergesetzt hat, sind die meisten der Themen vermutlich nicht neu – der Bechdel-Test zum Beispiel. Aber ich würde sagen, gerade für jüngere Leserinnen bietet dieses Buch auch einen tollen Einstieg, um sich mit Feminismus auseinanderzusetzen und grundlegende Argumentation kennenzulernen.

Einziger Wehmutstropfen war für mich dabei, dass es eine ziemlich problematische und transphobe Stelle gibt, bei der es um Menstruation gibt. Ich unterstütze den Punkt, dass über ein so alltägliches und so viele Menschen betreffendes Phänomen offener und mit weniger Scham gesprochen werden sollte, aber an dieser Stelle wurden die Aussagen getroffen, dass jede Frau menstruiert und die Menstruation eine zur Frau mache, und das schließt schlicht und ergreifend nicht-binäre und trans Personen aus. Nicht jede Frau menstruiert und nicht jede Person, die menstruiert, ist eine Frau.
 
Fazit: Ein Coming-of-Age-Buch über Freundschaft, erste Beziehungen und Selbstfindung mit vielschichtigen Charakteren mit Ecken und Kanten. Das Buch setzt sich mit Mental Health auseinand und stellt die OCD der für ihr Alter sehr authentisch handelnden Protagonistin nachvollziehbar dar. Gleichzeitig stellt das Buch einen tollen Einstieg in das Thema Feminismus gerade für junge Leser*innen dar, vertritt dabei allerdings weniger einen intersektionalen Ansatz und enthält eine problematische Passage, die trans Personen exkludiert.