Rezension

Commedia dell’ amara verità

Erben auf Italienisch - Piersandro Pallavicini

Erben auf Italienisch
von Piersandro Pallavicini

Bewertet mit 3 Sternen

 

Hier werden lustvoll Illusionen zerstört! Nicht angeschlagen, gedreht und mit ‘nem unschönen Sprung zurück ins Regal gestellt, nein, Piersandro Pallavicini, der Autor von “Erben auf Italienisch” stampft sie in Grund und Boden und man meint ihn bei jeder neuen Zeile  diabolisch lachen zu hören!

Da geht es hin, unser Bild der Idylle in grün, weiß, rot. La famiglia, die italienische Trutzburg gegen die bitterkalte Welt da draußen, mit der dicken nonna mit Oberlippenbart und Schürze, die irgendein Gemüse putzt, Mama, Herrin der Armee riesiger Töpfe in la cucina, während ihr geliebter, immer noch unverheirateter Sohn, keine Frau ist so gut wie Mama!!!, mit dem Finger kostet, den nur störenden, rauchenden Männern in Feinripp Oberteilen vor der Tür, dazu tollende Kindermassen, glücklich lächelnd, mit aufgeschlagenen Knien als Hintergrundmusik.

Unwiederbringlich ins Reich der Märchen verbannt, stattdessen das hier:

Der hochbetagte Alberto Pampaloni, ein Zampano mit musolinischem Gehabe, 80 jährig, kauzig durch Demenz oder Charakter, versammelt er in wichtiger Mission seine Lieben, oder die sich dafür halten, um sich. Er lässt sie antreten zum Appell in seinem, wie er, in die Jahre gekommenen, fantastisch futuristischem Haus, in dem sicherlich auch Fantomas gerne sein schäbiges Lachen über die Alpen gehetzt hätte. Einem sich verflogenen Ufo gleich, geparkt auf dem Gipfel jenes Ortes im Tretino, vor dem mal eine mondäne Zukunft lag, den nun aber schon seit Jahren kein Sessellift mehr ansteuert. Hier in seinem, die goldenen Jahre weit hinter sich gelassenes Lieblingsdomizil, kommen sie nun zu ihm geeilt: la famiglia.

Sein einziger Sohn Rogoredo, benannt nach einer Mailänder Vorortbahnstation, gehüllt in das Landlord Tweed des urbanen Großstadtbewohners mit Hang zur Kleptomanie und Gentry Attitude, dessen Landrover ihm am Wochenende auf den befestigten Straßen zwischen Londonstadt und dem Interior-Preis verdächtigen Wochenendcottage das Gefühl von Abenteuer gibt. Mit ihm angereist seine English Rose, sein britisches Upper-Class Eheweib, Margareth. Ähnlichkeiten mit einer jungen, aber schon metallisch glänzenden Miss Thatcher sind keineswegs Zufall. Mutter seiner Zwillingssöhne, erscheint recht sprachlos, weil, wie ihre Söhne auch, des italienischen Idioms nicht mächtig oder willig. Sie ist vorrangig dekorativ und verbringt ihre Zeit in den Bergen damit, wie einst Heidi den Geißen-Peter, ihren wenig maskulinen Möchtegern-Galeristen zu großen Taten zu motivieren. Also dem väterlichen Großerbe näher zu bringen und nebenbei ihre fahle, britische Haut der italienischen Sonne nah zu bringen. Carla, die Klimakteriumgebeutelte, nerdige Tochter des Adriano Celentano Verschnitts, ist ihrem Herrn Papa ergeben wie ein Hündchen. Jede Zurückweisung in Wort und Tat seinerseits lässt sie das nächste Stöckchen mit noch mehr begeistertem Schwanzwedeln aus der Dornenhecke klauben. Ihr Physiker-Ehemann weilt derweil für ein Auslandssemester, oder etwas ähnlich Wichtiges, an einer amerikanischen Eliteuniversität und zieht jedes naturwissenschaftliche Messgerät seiner Chemikerfrau mit dem Charme einer gedopten, russischen Kugelstoßerin vor. Carla hat, an abgängige männliche Unterstützung gewöhnt, ihren halbwüchsigen Sohn im Schlepptau. Massimo, ein, der Pubertät hinterher eilender Einserkandidat, wie einst seine Frau Mama, der von ihr allabendlich höchst selbst in den Schlaf gelesen wird und auf gesellschaftliche Ablehnung noch relativ normale menschliche Reaktionen zeigt: er findet es zum Kotzen. Der Reigen wird komplementiert durch das Haustier, das Faktotum der Familie, die vom hoffentlich baldigen Erblasser Bulldogge genannte Jugendfreundin und Arbeitskollegin Carlas: Paola Ottolina. So hässlich, dass weder der großspurige Gorgonzola Lieferant Gunther Sachs je müde wird es auszusprechen, noch die frustrierte Frau Doktor cum laude es zu denken. 

Diese händevoll Menschen bilden das Personal für eine Familienkomödie, mit der uns der Autor eine nur zu bekannte Wahrheit vor Augen führt: Der Mensch ist ein Wolf, auch der Familienmensch!

Den bildreichen Boshaftigkeiten des Autors zu folgen, dem Geifern und Klammern, dem Hauen und Stechen der italienischen Sippe, diese Komödie der bitteren Wahrheit, bereitet jedem gewissenlosen, schwarzseeligen Leser das pure Vergnügen.