Rezension

Das Beste zum Schluss

Unter Tage - John Harvey

Unter Tage
von John Harvey

Im März 1984 nimmt ein Ereignis seinen Lauf, das die britische Nation nachhaltig und für immer verändern wird. In den Kohlerevieren Nord- und Mittelenglands werden Zechen geschlossen und Arbeitsplätze im großen Stil vernichtet. Die Rentabilität ist hier nur zweitrangig, in erster Linie geht es Premierministerin Thatcher um die Entmachtung und Zerschlagung der Gewerkschaften. Und sie nimmt dafür bewusst die Verelendung der Bergarbeiter in Kauf, damit die ihre politischen Ziele durchsetzen kann (eindrücklich geschildert in dem Roman „GB 84“ von David Peace, auf den John Harvey auch in seinem Nachwort hinweist).

Soweit der Hintergrund für John Harveys Kriminalroman „Unter Tage“ (Originaltitel „Darkness, Darkness“). Handlungsort ist das fiktionale Bledwell Vale, eine Kleinstadt im Kohlerevier, gelegen im nördlichen Nottinghamshire, der Region, in der sich die Kumpel im Streik befinden. 1984 der Einsatzort von DI Charlie Resnick, der dort im Undercover-Einsatz für eine Unterabteilung von Scotland Yard Informationen über die streikenden Bergarbeiter sammeln und die Geschehnisse im Auge behalten soll. Dabei lernt er auch die Hardwicks kennen, eine Familie, die symbolisch für die unterschiedlichen Meinungen zu diesem Streik steht. Auf der einen Seite Barry, der weiter seiner Arbeit nachgehen will und muss, weil sein Lohn das Überleben sichert und sich deshalb weigert zu streiken. Dessen Frau Jenny ist allerdings anderer Meinung und wandelt sich von der treusorgenden Mutter zur kämpfenden Aktivistin, aktiv im Streikkomitee, die eines Tages spurlos verschwindet.

Dreißig Jahre später werden durch einen Skelettfund die Ereignisse der damaligen Zeit wieder aufgewühlt. Da er damals vor Ort war, wird Resnick, wenngleich bereits im Ruhestand, reaktiviert und der leitenden Ermittlerin Catherine Njoroge zur Seite gestellt. Und für ihn gilt es nun, nicht nur einen Todesfall aufzuklären, sondern er muss sich auch seiner Vergangenheit stellen.

Charlie Resnicks letzter Fall wird von John Harvey in zwei Zeitebenen erzählt, was den besonderen Reiz dieses Kriminalromans ausmacht, veranschaulicht er doch sehr detailliert die Entwicklung, die sein Protagonist im Laufe der Zeit durchlaufen hat. Diese Konfrontation mit seiner eigenen Vergangenheit als Ermittler ist für ihn nicht immer schmerzfrei, denn auch er muss sich seinen eigenen Versäumnissen stellen. Aber der Autor verharrt nicht in der Rückschau, sondern bringt die Geschichte seiner Hauptfigur gut ausbalanciert zwischen dem Gestern und dem Heute zu einem Ende – Fall gelöst, auch wenn damit nicht alles gut ist.

Ein schmerzhaftes Kapitel der englischen Zeitgeschichte, verwoben mit einem spannenden Kriminalfall, meisterhaft von einem großartigen Autor in Szene gesetzt. Lesen!