Rezension

Das kurze Leben eines Pianisten

Schattenzeit -

Schattenzeit
von Oliver Hilmes

Bewertet mit 5 Sternen

Es war im Dezember 1987. In unserer Tageszeitung stand ein Artikel über Karlrobert Kreiten, den ich aufmerksam las, befand ich mich doch selber in der Ausbildung zur Pianistin. Denn auch Karlrobert Kreiten war Pianist gewesen, offensichtlich ein besonders guter, dem eine glanzvolle Karriere bevorgestanden hatte. Bis das Naziregime dieser jäh ein Ende setzte. Kreiten hatte sich in einem privaten Gespräch unbotmäßig über die Hitler-Regierung geäußert, und die Denunzianten schliefen nicht. Gefängnis reichte in diesem Fall nicht; man wollte ein Exempel statuieren und warf den vielversprechenden jungen Mann dem psychopathischen Richter Freisler zum Fraß vor, der ihn kurzerhand zum Tode verurteilte. War mein Entsetzen nicht schon groß genug, fiel mir beim letzten Satz des Zeitungsartikels endgültig die Kinnlade herunter: der Mann, der kurz nach diese Hinrichtung deren Vollzug in der Presse gelobt und gerechtfertigt hatte, war kein anderer gewesen als ein gewisser Werner Höfer. Meine Eltern gehörten zu dessen treuen Fans; jeden Sonntag nach der Kirche wurde der von Höfer geleitete Frühschoppen mit internationalen Pressevertretern eingeschaltet, erst im Autoradio, dann zu Hause im Fernsehen. Nun, auch diese Karriere fand ein jähes Ende, und zwar unmittelbar nach dieser im Dezember des Jahres 1987 in alle Tageszeitungen lancierten pikanten Information. 

Das Buch „Schattenzeit“ von Oliver Hilmes ist dem Pianisten Karlrobert Kreiten gewidmet und beschreibt, spannend wie ein Roman, aber wohlrecherchiert, die Ereignisse um die  Hinrichtung des Musikers. Aber das Buch ist noch mehr als eine Beschreibung des Leidensweges eines jungen Pianisten; es ist zudem eine kurzweilige  Chronik der Ereignisse des Jahres 1943. In verschiedenen chronologisch geordneten Episoden werden die Schicksale verschiedener prominenter, wie auch völlig unbekannter Widerständler beleuchtet. Auch in das Leben der Denunzianten bekommen wir einen Einblick, und der Erzählstil ist so wertfrei gehalten, dass man als Leser erschrickt: das sind welche von uns. Und man überlegt, ob man selbst sich in einer solchen Situation anders verhalten hätte ...   

Ich empfand die strenge chronologische Abfolge als sehr lesefreundlich; vor allem lernt man dadurch wirklich viel über die Ereignisse in jenem Jahr. Und immer wieder war man überrascht, plötzlich einen weiteren bekannten Namen oder Sachverhalt durch die Einordnung in die Chronologie in völlig neuem Licht zu sehen. 

Ein sehr starkes Buch, dass ich nur jedem wärmstens an Herz legen kann.