Rezension

Das Leben der Schwester

Allerliebste Schwester
von Wiebke Lorenz

Bewertet mit 4 Sternen

Eva hatte es bisher nicht leicht in ihrem Leben, stand sie doch immer im Schatten ihrer perfekten jüngeren eineiigen Zwillingsschwester Marlene. Wo Marlene schon in Kindertagen glänzte, schlug sich Eva mehr oder weniger passabel durch. Nur Musik, das war etwas, das Eva allein gehörte und sie hatte Talent. Während Marlene sich für ein bürgerliches Leben entschied, früh heiratete und ihr Medizinstudium unterbrach und in einem Buchladen arbeitete, um eine Familie zu gründen, war Eva der Freigeist, der wechselnde Männerbekanntschaften hatte und ansonsten ihr Singleleben in vollen Zügen genoss, zumindest bis vor drei Jahren, denn vor drei Jahren kam Marlene ums Leben. Ob es ein Unfall oder gar Suizid war, konnte nicht abschließend geklärt werden, diese Frage blieb offen.

Durch den Verlust von Marlene veränderte sich Evas Leben von einem Tag auf den anderen. Erstaunlicherweise war es Tobias, Marlenes Mann, der ihr den meisten Trost spendete und die beiden kamen sich näher und heirateten. Evas Freigeist war durch diesen Verlust gebrochen und sie entschied sich, Marlenes Leben an ihrer statt zu führen und tatsächlich wurde sie, im Gegensatz zu ihrer Schwester, schwanger und erwartete mit ihrem Ehemann einen Sohn. Doch dieser verstarb noch im Mutterleib und wurde tot geboren - und Evas Welt brach erneut zusammen. 

Hatte sie nicht alles getan, um Marlenes Leben gerecht zu werden? Hatte sie nicht, trotz der damit einhergehenden Widerstände, deren Mann geheiratete, ihre Musik aufgegeben und in genau demselben Buchladen angefangen zu arbeiten, wie einst Marlene, hatte sie nicht Marlenes Traum von einer Familie erfüllen wollen? Warum nur gelang es ihr nicht, das Leben zu führen, dass ihre Schwester sich immer gewünscht hatte? Dann jedoch betritt ein Eva unbekannter Mann den Buchladen und verwechselt sie mit ihrer Schwester und Eva weiß sofort, dass diesen Mann und ihre Schwester etwas verband, wovon bisher niemand etwas ahnte. Weiß er womöglich, was vor drei Jahren mit Marlene passiert ist und warum erscheint ihr Marlene jetzt, drei Jahre nach ihrem Tod?

Das Leben der Schwester! Der Plot wurde realistisch und abwechslungsreich erarbeitet. Ich muss gestehen, ein bisschen freaky fand ich die Stellen schon, an denen Eva ihre tote Schwester Marlene sieht, allerdings muss ich gestehen, dass ich Marlenes Reaktionen innerhalb der Interaktion mit ihrer lebenden Schwester ausgesprochen erfrischend fand - von wegen "brave" Marlene - im Tod zumindest nicht. Die Figuren wurden facettenreich und authentisch erarbeitet, wobei ich mir zeitweise nicht sicher war, was ich von der Figur der Eva halten sollte, denn was ist das für ein Mensch, der sein eigenes Leben aufgibt, um das Leben seiner verstorbenen Zwillingsschwester zu führen? Doch dies klärte sich nach und nach und es wurde immer ersichtlicher, warum Eva so gehandelt hat. Den Schreibstil empfand ich als angenehm zu lesen, sodass ich abschließend sagen kann, dass mir das Buch aufreibende Lesestunden bereitet hat.