Rezension

Das Notizbuch eines passionierten Gletscherforschers und sein Scheitern an der Menschheit

EisTau - Ilija Trojanow

EisTau
von Ilija Trojanow

Bewertet mit 4.5 Sternen

In Ilija Trojanows 2011 erschienem Roman „EISTAU“ begegnen wir Zeno Hintermeier, einem passionierten Glaziologen, der sich in einer Welt wiederfindet, in denen Vermarktung und Werbung wichtiger sind als die schützenswerte Verletztlichkeit der scheinbar unberührten Antarktis.
In 12 Kapiteln (+ 12 dazugehörenden Subkapiteln, in denen uns eine Mischung aus Funksprüchen und platten Schlagzeilen begegnet) entfaltet sich in Zenos privatem Notizbuch die Geschichte eines einfachen Gletscherforschers von einer deutschen Universität, über das Sterben seines ihm in Zwangsehe quasi angetrauten alpinen Gletschers bis hin zur Katastrophe und zum Scheitern seiner Person.
Die MS Hansen ist ein Ort, an dem sich leidenschaftliche Naturwissenschaftler wie der Ornithologe El Albatros wiederfinden, aber auch Zeno, der eine Außenseiterrolle genießt, da er selbst unter Science-Nerds als ZU passioniert gilt. Die Haupthandlung spielt sich auf einem Touristenkreuzfahrtschiffes ab und auf den verschiedenen Stationen, die das Schiff, samt Forschern und Touristen anläuft. Durch Koordinaten als Kapitelüberschriften soll die Echtheit dieser Erzählung unterstrichen werden. Wer die Schifffahrt also auf einer Karte/Google Maps nachverfolgen möchte, sei dadurch dazu angehalten.
Mir hat dieser kaum 170 Seiten umfassende Roman von Trojanow sehr zusagen können.
Alle Erwartungen, welche die Buchrückseite in mir geweckt hatte, haben sich auch erfüllen können.
Was habe ich erwartet? Auf jeden Fall das angepriesene „kunstvolle Plädoyer eines Poeten“, die poetische Ader Trojanows lässt sich kaum anzweifeln, zudem schafft er es in shakespear’scher Manier Worte gänzlich neu zu schöpfen und sie neu zu kombinieren. Künstlerisch-geschichtliche Anekdoten und das Einstreuen von Gedichten konnten genau meinen Nerv treffen. Wer also Pablo Neruda, Nathaniel Hawthorne oder Samuel Taylor Coleridge nicht abgeneigt ist, wird hier einiges an literarischen Schätzen eingestreut finden.
Des Weiteren gefiel mir der Protagonist, der sich immer weiter in sich selbst zurückzieht, sich isoliert und dessen unglaubliche Passioniertheit und Liebe zu der sterbenen Gletscherwelt sich bis ins leicht Wahnhafte steigert. Jemand, der an der Verletzlichkeit der Natur krankt und gemütstechnisch mitstirbt, ist in der heutigen Welt definitiv zum Scheitern verurteilt.
Mir gefiel am besten Zenos Sarkasmus, mit dem er seine eigene Verletzlichkeit überspielt, ebenso seine Beziehung zu Paulina, das zwischendurch eingestreute Englisch, die relevanten und pointierten Dialoge und vieles, vieles mehr.
Mich hat wie bereits erwähnt, genau der Klappen-/Rückseitentext gefangen, normalerweise sind die globale Erderwärmung und das Gletschersterben Themen gewesen, die mich nur sehr am Rande interessierten.
Der einzige Kritikpunkt sind für mich diese Sub-Kapitel nach jedem Hauptkapitel. Ich verstehe ihre Funktionalität, allerdings hat es meinen allgemeinen Lesefluss sehr gestört. Ich respektiere die Experimentierfreude moderner Autoren und ich habe dieses Buch abgöttisch geliebt, aber es wäre (für mich persönlich) auch ohne gegangen.

Gesamtwertung: 4,5 Sterne

Kommentare

Naibenak kommentierte am 26. März 2015 um 08:49

Eine tolle Rezension! Ich habe das Buch vor ein paar Jahren gelesen, konnte meine Empfindungen aber nicht so richtig in Worte fassen ;-) Das ist Dir prima gelungen und spricht auch mir aus dem Herzen. Mir erging es mit der "Experimentierfreude" ähnlich... war interessant, aber richtig mitgerissen hatte mich diese nicht ;-) Ansonsten hatte ich aber das Buch und auch die Sprache Trojanows ebenfalls sehr genossen! :-)