Rezension

Das philosophische Einhorn

Das silberne Einhorn - Max Kruse

Das silberne Einhorn
von Max Kruse

Bewertet mit 3.5 Sternen

Eine böse Fee hat den König und sein Reich verflucht. Nun ist der König immer traurig, sein Reich verfällt, und eine neue Frau findet er auch nicht (seine Gemahlin ist bereits verstorben). Nur wenn seine Tochter, die Prinzessin, der Fee ein silbernes Einhorn auf ihre Insel bringt, dann wird der Zauberbann aufgehoben. Aber Einhörner sind rar. Als die Prinzessin dennoch eines Tages einem solchen im Wald begegnet, entschließt sie sich, gemeinsam mit dem Müllerburschen und dem Einhorn zur bösen Fee aufzubrechen. Die Sache hat nur einen Haken: das Einhorn müsste freiwillig bei der Fee bleiben wollen, denn in Gefangenschaft verkümmert es ...

Ich bin ja seit meiner Kindheit Max-Kruse-Fan. In diesem hübschen, liebevoll aufgemachten Büchlein störte mich allerdings die reichlich neunmalkluge, ja oberlehrerhafte Attitüde, die viel zu oft durchscheint. Dabei schreibt er einiges anmutig, manches richtig poetisch. Aber Kruse stammt halt noch aus einer anderen Zeit; geboren 1921, verstarb er erst vor wenigen Jahren (2015); dieses kleine Buch ist ein Spätwerk von ihm von 2011 und fällt irgendwie aus der Reihe moderner Kinderbücher heraus. Wie so oft, ist das nicht nur sein Handycap, sondern auch sein Reiz. Wenn man sich an den belehrenden Duktus erst einmal gewöhnt hat, ist es schon irgendwie sehr süß.

Manches ergibt aber nicht so richtig viel Sinn. Im Gewitterkapitel zum Beispiel fürchtet sich das Einhorn zuerst, dann philosophiert es darüber, warum es sich fürchtet und dass man die Angst als netten Gast willkommen heißen sollte, und dann ruft es auf einmal aus: "Herrlich! Nie fühlt man sich freier, als wenn die Angst überwunden ist ... Alles ist wieder leicht." Wenn dann die Prinzessin einer seiner philosophischen Abhandlungen mal nicht ganz folgen kann, gibt es die rasch zum geflügelten Wort werdende Antwort "Das macht nichts, das kommt noch." Diesen Standardspruch wiederholen übrigens auch all die vermeintlich bösen Erwachsenen (der Ritter, der Riese, der Zauberer), die plötzlich zu kinderlieben Mitmenschen mutieren und fröhlich drauflos philosophieren.

"Ja, Zauberei gibt Macht, sie verleitet aber auch zu Willkür. Und sie verblüfft ohne bleibenden Wert. Denn nur das Erschaffene dauert. Weisheit ist wichtiger als Zauberei. Das lernt man freilich erst spät." Das mag ja alles richtig sein. Aber es kommt ein wenig mit dem Holzhammer daher ...

Nicht vollends überzeugt das weisheitenschwangere Werk. Die Geschichte ist eher etwas zum Vorlesen für jüngere Kinder, aber mit den philosophierenden Kapriolen hätte Kruse schon aus diesem Grunde etwas sparsamer umgehen können. Und der Schluss ist dann sehr happy-endig und sehr abgedreht. Trotzdem, zumindest auf der allerletzten Seite, auch wieder bezaubernd schön.

Man muss dieses Alterswerk des wunderbaren Schriftstellers wohl mit ein wenig liebevoller Barmherzigkeit betrachten, dann hat man vielleicht echte Freude daran.