Rezension

Das Reifen eines Autors, Einflüsse und Werkstattbericht

Die Geschichten in uns -

Die Geschichten in uns
von Benedict Wells

Bewertet mit 5 Sternen

Leser:innen von „Hard Land“ werden sich gefragt haben, warum ein Autor, geboren 1984 in Deutschland, über das Heranwachsen eines 1985 in Missouri geborenen 15-Jährigen schreibt. Benedict Wells aktuelles autobiografisches Buch bietet dazu Antworten. Es erzählt, welche Autoren, Werke und Äußerungen anderer Autoren über das Schreiben ihn prägten und liefert schließlich einen Werkstattbericht der konkreten Überarbeitung von Textpassagen aus „Hard Land“ und „Vom Ende der Einsamkeit“.

Hochinteressant fand ich Wells Entwicklung als Leser (ohne Lesen stagniert sein Schreiben), der in Berlin jobbt und zunächst alles liest, das ihm in die Hände kommt. Erst spät wird ihm bewusst, dass seine Zufallsfunde ausschließlich von Männern verfasst sind. Den Faden einer „weißen, heterosexuellen, mittelständischen Welt“ nimmt Wells in „Hard Land“ wieder auf, indem er die alles andere als sorglose Welt Jugendlicher während der Reagan-Ära zeigt. Wells nennt den konkreten Einfluss, den jeweils Michael Chabon, J.R. Moeringer und Stephen King auf seine Entwicklung des Handwerks Schreiben hatten, und bezieht sich u. a. auf Atwood, A. L. Kennedy, Ishiguro und Saunders. Hier erfährt man als Leser anschaulich, wie Figuren, Orte und Sprache sich gegenseitig in Bewegung halten und dass Wahrhaftigkeit Leser:innen berühren muss.

Benedict Wells lässt „seine“ Themen schwere Kindheit, psychische Erkrankung und Einsamkeit in seinen Romanen maskiert auftreten. Wie viel Zeit vergehen muss, bis ein Autor das eigene Erleben in seinen Texten selbst wahrnehmen kann, zeigt er in „Die Geschichten in uns“ eindringlich. Aus seiner Reifung als Autor ergibt sich ein rundes Bild in einem leicht lesbaren Text, der besonders Leser:innen von „Hard Land“ ansprechen wird.