Rezension

Den Tod vor Augen

Ich sehe was, was niemand sieht - Tim O'Rourke

Ich sehe was, was niemand sieht
von Tim O'Rourke

Bewertet mit 4 Sternen

Natalie Dean ist tot, überrollt von einem Zug, als sie eine Abkürzung über die Bahngleise auf dem Weg zu ihrer Freundin nehmen wollte. Für ihre beste Freundin, die 17-jährige Charley Shepard, ist eine Welt zusammen gebrochen, denn mit Natalie hat sie nicht nur ihre einzige Freundin verloren, sondern auch ihre Vertraute. Charley ist anders, als andere Mädchen ihres Alters. Ihre Mutter beging vor elf Jahren Selbstmord, seitdem lebt sie mit ihrem Vater allein, der das Geld für beide als Taxifahrer verdient. Doch das ist nicht das, war Charley "anders" macht - seit dem Tod ihrer Mutter, seit nunmehr elf Jahren, hat sie Blitzerscheinungen. Während dieser "Anfälle" sieht sie Bilder von Sterbenden vor ihren Augen und erlebt deren Tod mit. Einher gehen diese "Anfälle" mit extremen Kopfschmerzen, die sie teilweise das Bewusstsein verlieren lassen.

 

Trotzdem Charley diese Anfälle bereits den Großteil ihres Lebens hat, werden sie in letzter Zeit immer heftiger und immer intensiver. Kurz nach der Beerdigung von Natalie hat sie erneut eine Blitzerscheinung. Sie sieht ein Mädchen, etwa in ihrem Alter, dass gegen ihren Willen festgehalten und schlussendlich bewusstlos auf die Bahngleise gelegt wird. Ihr Name ist Kerry und ihr letzter Wunsch ist es, mit ihrer Mutter zu telefonieren. Während dieses Anfalls verliert Charley das Bewusstsein und wird kurz darauf von ihrem Vater gefunden. Dieser weiß, dass irgendwas mit seiner Tochter nicht stimmt, aber an ihre Blitzerscheinungen glaubt er nicht. Charley weiß nicht, ob das, was sie während der Anfälle sieht, gerade geschieht, bereits geschehen ist oder noch geschehen wird, aber eines weiß sie: es ist real!

 

Tatsächlich stirbt in jener Nacht die 18-jährige Kerry Underwood auf den Bahngleisen. Zwar sieht alles nach einem Unfall aus, doch irgendwer ist misstrauisch, ob es sich tatsächlich um einen solchen handelt und schaltet die Kriminalpolizei ein. Mit vor Ort ist Police Constable Tom Henson. Dieser ist erst seit einer Woche in Marsh Bay und hat unter seinen Kollegen auf Grund des Berufes seines Vaters (erfolgreicher und bekannter Anwalt) und auf Grund seines Alters (erst 20 Jahre alt), einen eher schweren Stand als "Fischling". In der Nähe des Fundortes von Kerrys Leiche trifft Tom am nächsten Tag auf Charley. Diese ist auf der Suche nach Spuren, denn sie meint, den Ort aus ihrer Blitzvision erkannt zu haben, um zu beweisen, dass das, was sie sieht, wahr ist. Tom ahnt, dass Charley nicht grundlos vor Ort ist und beschließt, der jungen Frau etwas auf den Zahn zu fühlen und in der Tat, irgendetwas sagt Charley, dass sie Tom vertrauen kann und sie erzählt ihm, von ihren Visionen. Zwar mag er ihr anfänglich nicht voll und ganz glauben, doch Charley weiß Details, die sie nur wissen kann, wenn sie vor Ort gewesen wäre und das schließt Tom aus. Tom beschließt, dem, was er von Charley erfahren hat, nachzugehen und in der Tat gibt es Ungereimtheiten beim Todesfall von Kerry Underwood. Tom weiß, dass er den Fall  mit Charleys Hilfe lösen kann - doch nicht nur die Visionen der jungen Frau interessieren ihn, irgendwie fasziniert ihn die ganze Person Charley Shepard ...

 

 

Den Tod vor Augen! Der Plot wurde mysteriös und spannend erarbeitet. Besonders gut hat mir hier gefallen, dass Protagonistin Charley in ihren Visionen dem Mörder immer Stück für Stück näher kommt und sich erst relativ spät im Buch herauskristallisiert, wer nun für den Tod der jungen Frau verantwortlich war und vor allem, warum. Die Figuren wurden facettenreich und realistisch erarbeitet. Besonders gut hat mir die Figur der Charley gefallen, die, obwohl sie ihr Leben lang Ablehnung erfahren hat, gewillt ist, alle Risiken einzugehen, um zu beweisen, dass ihre Visionen wahr sind. Allerdings muss ich sagen, dass mir die Gefühlsentwicklung zwischen Charley und Tom dann doch teils etwas zu schnell von statten ging, hier fehlte mir doch ein Teil "Realität", zumal Charley ja bisher Zeit ihres Lebens auf der Hut war, wem sie vertraut und wem nicht. Den Schreibstil empfand ich als sehr spannend und angenehm zu lesen, sodass ich das Buch am liebsten gar nicht mehr aus der Hand gelegt hätte. Abschließend kann ich sagen, dass mir das Buch sehr schöne Lesestunden bereitet hat und die Geschichte mich definitiv in ihren Bann gezogen hat.