Rezension

Spannend, aber leider etwas zu vorhersehbar gestrickt

Ich sehe was, was niemand sieht - Tim O'Rourke

Ich sehe was, was niemand sieht
von Tim O'Rourke

Bewertet mit 3.5 Sternen

Ihre Gabe erschreckt sie selbst immer wieder, doch wesentlich schlimmer für sie ist, dass niemand ihr zuhören will.
Besonders als sie einen Mord mit ansehen muss.

 

Charley muss grauenhafte Dinge miterleben: In so genannten Blitzen tauchen schreckliche Bilder vor ihrem inneren Auge auf, in denen ein junges Mädchen entführt und zu den Bahngleisen geschleppt wird. Völlig davon überzeugt, dass sie Zeuge eines realen Verbrechens wurde, hat sie dennoch keinerlei Beweise.
Dann begegnet sie Tom, der ihr von ihrem mysteriösen neuen Fall bereichtet: Ein weibliches Opfer wurde von einem Zug überrollt, die Arme seltsamerweise vor der Brust verschränkt. Der Police Officer glaubt weder an einen Suizid noch an einen Unfall. Und Charley scheint die einzige zu sein, die mehr über diese Sache weiß. Aus dem Grund tut er sich mit ihr zusammen, obwohl er ihren übernatürlichen Wahrnehmungen skeptisch gegenübersteht.
Zumindest anfangs noch.

 

 

Die Inhaltsangabe zu Ich sehe was, was niemand sieht verspricht einen spannenden Jugendthriller mit Mysteryelementen. Genau deshalb wollte ich den Titel auch unbedingt lesen. Doch er konnte mich nur bis zu einem gewissen Grad begeistern.
An den Figuren lag das meiner Meinung nach bloß zu einem kleinen Teil. Mit Charley und Tom hat der Autor zwei Charaktere geschaffen, die mich in den allermeisten Szenen überzeugen konnten. Zuerst musste ich mit der weiblichen Heldin etwas warm werden, da sie auf den ersten Seiten noch kindisch und unreif wirkt. Das ändert sich allerdings relativ schnell, sobald man mehr über ihre Hintergründe erfährt und sie sich dazu entschließt, den Wahrheitsgehalt ihrer "Blitze" selbst zu überprüfen. Von da an beweist sie Mut und Durchsetzungsvermögen, gerade gegenüber ihrem Vater. Und auch wenn so manche Aktion von ihr einem leichtsinnig erscheint, passt dieses Verhalten dennoch zu Teenagern in ihrem Alter und ist daher nachvollziehbar.
Tom bildet da den vernünftigen älteren Gegenpart, ohne dass er jedoch als der perfekte Retter dargestellt wird. Er muss sich erst noch behaupten, nicht nur gegenüber seinen Vorgesetzten, was ihn sehr sympathisch macht.
Das übrige Ensemble konnte mich eher weniger überzeugen, da man viele Stereotypen antrifft, vor allem unter den Polizisten. Unter diesen sticht lediglich Harker positiv hervor.

 

Der Schreibstil ist dem Alter der beiden Protagonisten angepasst, aus deren Sicht die Geschichte geschrieben ist: Jugendlich gehalten, mit Umgangssprache vermischt und flüssig zu lesen, ohne über allzu komplizierte Satzkonstruktionen zu stolpern. Das lässt Charleys Visionen unglaublich eindringlich werden und schürt so die Spannung darauf, wer denn für das Verbrechen verantwortlich ist. Ab einem gewissen Zeitpunkt fiebert man nur noch dem Ende entgegen, um endlich die Auflösung zu erfahren.
Leider braucht die Story anfangs etwas, um richtig in Schwung zu kommen, nicht nur was die Hauptperson angeht. Und gerade die Ausdrucksweise des Autors sorgt in meinen Augen für ein weiteres Problem: Bestimmte Szenen sind der Grund dafür, dass ich den Roman eher für Leser ab vierzehn oder fünfzehn Jahren empfehlen würde. Aber die mitunter zu einfach gestrickten Formulierungen, teilweise häufigen Wiederholungen und nüchterne Beschreibungen könnten die Zielgruppe mitunter langweilen, besonders Siebzehnjährige. Dafür fehlen auch interessante Ausschmückungen, vielleicht genauere Einblicke in die Polizeiarbeit, die hier die Längen im Mittelteil womöglich überbrückt hätten.

 

Fazit

 

Mit Ich sehe was, was niemand sieht hat Tim O'Rourke einen Mysterythriller für Jugendliche geschrieben, der zu einem guten Teil überzeugen kann. Die beiden lebendig wirkenden Hauptpersonen, eine meist mitreißende Handlung und die Beschreibung der übernatürlichen Fähigkeiten Charleys waren für mich die Pluspunkte des Romans.
Dagegen haben mir so manche Längen, der relative einfache und knappe Schreibstil und die Stereotypen unter den Nebenfiguren weniger gefallen, weshalb die Story meiner Meinung nach eher gehobener Durchschnitt ist.
Wer aber spannende Bücher aus diesem Bereich liebt und gerne mal zwischendurch verschlingt und überzeugend wirkende, ungewöhnliche Ermittlerduos mag, der sollte ruhig über etwaige Schwächen hinwegsehen und dem Titel eine Chance geben!