Rezension

Deprimierendes, intensives Porträt einer gewaltätigen Ehe

Blauschmuck - Katharina Winkler

Blauschmuck
von Katharina Winkler

Bewertet mit 5 Sternen

Schlag auf Schlag auf Schlag

„Ich bin in meinem Zuhause, das kein Zuhause mehr ist, das immer meine Rettung in letzter Not war und mich in letzter Not nun nicht rettet.“

Inhalt

Filiz, aufgewachsen in einem kurdischen Dorf verliebt sich mit 12 Jahren in einen nur wenig älteren Jungen aus der Nachbarschaft. Die Eltern wollen der Verbindung nicht zustimmen, da brennt das junge Mädchen mit dem Geliebten einfach durch und bricht mit ihrem Elternhaus. Ihre Schwiegermutter kommt für die Vermählung der beiden auf und lässt sie bei sich wohnen. Doch schnell muss Filiz erkennen, dass ihr Mann ganz unter der Schirmherrschaft seiner Mutter steht und für die ist Filiz nur eine Dienstbotin, die sie nach Lust und Laune herumschubsen kann. Daran ändert auch die erste Schwangerschaft nichts – sie ist nichts wert, ihr Leben abhängig von der Gunst der anderen. Yunus ihr Geliebter bringt ihr längst kein Gefühl mehr entgegen, maximal beim erzwungenen Geschlechtsverkehr, oder wenn er sie mal wieder grün und blau schlägt. Als es ihm gelingt in Österreich eine Wohnung zu bekommen holt er Filiz nach und diese hofft immer noch auf ein anderes, selbstbestimmteres Leben. Doch Yunus ändert sich nicht, seine Gewalteskapaden werden immer schlimmer und die junge Frau fürchtet um ihr Leben und wenig später auch um das ihrer mittlerweile 3 Kinder. Auch in der Fremde wird sie nie Zuhause sein, solange Yunus an ihrer Seite ist – doch ihre Kraft, sich den Misshandlungen des Mannes zu widersetzen schwindet immer mehr …

Meinung

Die österreichische Autorin Katharina Winkler widmet sich in ihrem Debütroman der Thematik Misshandlung und Gewalt innerhalb der Ehe. Dabei nimmt sie eine wahre Begebenheit als Ausgangssituation, um zu zeigen wie bitter und nachhaltig die Spirale aus Machtmissbrauch, Abhängigkeit und Ausweglosigkeit sein kann, wenn man als Frau nicht nur in eine von Männern dominierte Welt hineingeboren wurde, sondern von klein auf daran gewöhnt ist, dass Frauen von Männern geschlagen werden und dies als normalen Zustand empfindet.

 Der sogenannte „Blauschmuck“ bezeichnet die Färbung der Haut an den verschiedensten Körperstellen der Frau in allen nur erdenklichen Nuancen, wenn sie wieder einmal Opfer häuslicher Gewalt geworden ist. Und fast jede Frau in dem kurdischen Heimatdorf der Protagonistin trägt mehr oder weniger „Blauschmuck“ und spricht doch nicht darüber, denn was allen passiert wird zwar geduldet, bleibt aber dennoch Privatsache. 

Der Handlungsverlauf dieser Geschichte ist äußerst deprimierend, weil sich die Spirale aus Missachtung und Gewalt immer mehr steigert und nicht nur die Illusionen einer jungen Braut zerstört, sondern letztlich die ganze Familie im Griff hat: Kinder die sich fürchten, weil sie geprügelt werden, eine Mutter die weder Schutzschild sein kann noch die Kraft aufbringt, der Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Besonders eindringlich wird die Abstumpfung der Betroffenen geschildert, die einst voller Überzeugung genau diesen Mann geheiratet hat, um mit ihm ihr Glück zu finden und dann feststellen muss, dass Selbstschutz das einzige ist, was ihr geblieben ist. Und obwohl mir persönlich das Gedankengut der Frau, gewachsen auf ihren Erfahrungen sehr fremd ist, schafft es die Autorin den fremden nationalen Hintergrund so zu integrieren, dass ich glaube, Filiz zu verstehen, ohne es tatsächlich nachempfinden zu können.

 Ein weiterer Pluspunkt ist die Art von generalistischer Erzählung, die nicht nur den Einzelfall dramatisch wirken lässt, sondern gezielt eine Vielzahl ähnlicher Fälle im Hinterkopf entstehen lässt, von denen man weiß, dass sie fast genauso ablaufen und nur die Namen und die Beteiligten andere sind.

Fazit

Ganz klar ein Roman, der 5 Sterne verdient, weil er in ansprechender literarischer Umsetzung eine bittere, grenzwertige Erzählung schildert, die stellvertretend für viele Familien steht und die trotz ihrer Unglaublichkeit immer noch auf der Tagesordnung steht, sofern ein gewisser kultureller Rahmen gegeben ist.

 Im besten Sinne ist dieses Buch emotional, obwohl es niemals so tief geht, dass man es nicht ertragen kann es ist brisant und zeitlos, abstoßend und fordernd zugleich und es bleibt lange in Erinnerung, weil man als Leser sehr viele Aspekte aufgreifen kann, über die es sich nachzudenken lohnt. 

Auch die Definition von Liebe muss überdacht werden, nicht nur die zwischen Mann und Frau, sondern auch die zwischen Eltern und Kindern. Und nicht zu verachten der Aspekt der Abhängigkeit, die manchmal unumstößlich, aber nur dann gefährlich ist, wenn der vermeintlich „Stärkere“ seine Position ausnutzt, um sein Gegenüber zu unterdrücken. Ein absolut lesenswerter, zeitloser Roman über wahrgewordene Albträume, ständige Ängste und den Verlust eines sicheren Zuhauses.