Rezension

Der abtrünnige Sohn

Was es braucht in der Nacht -

Was es braucht in der Nacht
von Laurent Petitmangin

Bewertet mit 5 Sternen

Auf dem Schutzumschlag sieht man einen Mann in den besten Jahren, der sich bei geschlossenen Augen entnervt die Schläfe reibt. Da möchte man spontan auf den Titel "Was es braucht in der Nacht" antworten, hauptsächlich Schlaf. Aber das wäre für diesen Roman etwas zu flapsig und kurz gegriffen.

Auf nur 160 Seiten berichtet ein Vater vom Tod seiner Frau, die mit 44 Jahren an Krebs verstirbt, und dem Alleinsein mit seinen beiden Söhnen, Fus 10 Jahre und Gillou 7 Jahre.
Zunächst scheint sich das Trio in dieser neuen Siuation gut zurechtzufinden. Stolz schaut der Vater auf seinen ältesten Sohn, der sich fürsorglich um den jüngeren Bruder kümmert, der wiederum zu seinen Bruder aufblickt. Der erste Zeltausflug der drei nach dem Tod der Mutter, wird dann leider auch die letzte gemeinsame Unternehmumg, denn Arbeit, Schule und das ganz normale Leben fordern ihren Tribut.
Gillout hat gute Noten und ergattert einen Studienplatz in Paris, fernab dem kleinbürgerlichen Lothringen, während Fus' schulische Leistungen zu wünschen übrig lassen und ihn in der Heimat halten. Er driftet in die Rechte Szene ab, sehr zur Verwunderung und Verärgerung des sozialistisch engagierten Vaters. Dieser straft Fus mit Missachtung und wendet sich lieber dem Sohn eines Parteikollegen zu, dessen Strebsamkeit ihn beeindruckt. Vater und Sohn sprechen sich nicht aus, bis eines Tages das Unglück geschieht und er seinen Sohn halb totgeschlagen auffindet.
Dieses dünne Büchlein erzählt vom Leben und Streben einer einfachen Arbeiterfamilie in der französichen Provinz und von den politischen Brüchen, dessen Abbruchkanten Familien entzweien und mit jedem wirtschaftlichen Rückschritt die Fronten in ihren Ideologien vermischt.

Die Geschichte ist schnell gelesen, die Sprache des Vaters einfach und sein Bericht, durch seine individuelle Sicht, vielleicht hier und da lückenhaft. Auch kann man als Außenstehender den Sinnungswandel des Vaters im weiteren Verlauf der dramtischen Geschehnisse bezweifeln, die Handlungen der Nebenpersonen nicht unbedingt nachvollziehen und vor allem dem Schlussaccord eine Menge Fragen nachrufen, doch sich dem Gelesenen entziehen, das fällt schwer. Mag es daran liegen, dass niemand moralisiert, die elterliche Seite des Vaters in seiner ganzen Zerissenheit und Sorge zumindest denkbar ist.

Die ganze Tragweite und Tiefe erschließt sich mit dem Prozess des Nachdenkens und liegt wahrscheinlich auch zum Gutteil im Ungesagten. Denn eigentlich ist es eine simple Geschichte, die sich tausendfach auf der ganzen Welt ereignen könnte, die aber gerade dadurch ihre besondere Sprengkraft für die Gesellschaft erhält. Von keinem Psychologen analysiert und keinem Moderator zerpflückt, fängt der eigene Kopf an zu arbeiten und wenn er das tut, ergänzt er die fehlenden tausend Seiten im Buch von ganz allein.